Auferstehung
es!«, log er. »Aber ohne dich geht es nicht!«
Das Ding in der Erde schwieg lange Zeit, während Dragosani atemlos wartete. Er bildete sich ein, dass die Erde wieder leicht unter seinen Füßen erzitterte, aber das konnte auch nur Einbildung sein – das Wissen, dass etwas Altes und Böses, etwas Verfaultes und Untotes hier begraben war. Hinter seinem Rücken stand der Baum scheinbar fest wie ein Fels, sodass Dragosani nicht ahnte, dass er im Innersten ausgehöhlt war. Irgendetwas schob sich aufwärts durch die Erde und in das trockene, wurmzerfressene Holz hinein.
Vielleicht hätte Dragosani die Bewegung gespürt, aber in genau diesem Augenblick sprach Thibor wieder zu ihm, und so war seine Aufmerksamkeit abgelenkt: Sagtest du ... du hast ein Geschenk für mich?
Interesse lag nun in der Stimme des Vampirs, und Dragosani erkannte einen Lichtstreif der Hoffnung. »Ja, ja! Hier zu meinen Füßen. Frisches Fleisch, Blut.« Er schnappte sich einen der Vögel und drückte ihm die Kehle zu. Das Gackern verstummte sofort. Im nächsten Augenblick schlitzte er den Unterkörper des Huhns mit einer Sichel aus glänzendem Stahl auf. Rotes Blut spritzte, er warf den Kadaver auf den Boden, weiße Federn schwebten stumm auf die dunkle Erde.
Die Laubdecke saugte das Vogelblut auf wie ein Schwamm Wasser – und hinter Dragosanis Rücken glitt ein Auswuchs aus verwester Materie rasch in dem ausgehöhlten Baum hinauf. Seine lepröse weiße Spitze fand ein Astloch und stieß kaum einen halben Meter über Dragosanis Kopf durch das Holz. Die Spitze pulsierte und glitzerte, war erfüllt von einem seltsamen Eigenleben und Drängen wie ein fremdartiger Fötus.
Dragosani packte den zweiten Vogel beim Hals und machte zwei Schritte vorwärts bis an den äußersten Rand der ›sicheren‹ Zone. »Hier ist noch mehr, Thibor, direkt hier in meiner Hand. Hab nur ein wenig Vertrauen, ein wenig Glauben, und erzähle mir etwas von den Kräften, die ich besitzen werde, wenn ich wie du bin.«
Ich ... Ich spüre, wie die Erde das rote Blut aufsaugt, mein Sohn, und es ist gut. Aber ich glaube immer noch, dass du zu spät kamst. Nun, ich will mich nicht beschweren. Wir hatten uns entzweit, und ich hatte genauso viel Schuld wie du, also lass uns die Vergangenheit vergessen. Ja, und ich möchte nicht, dass es zu Ende geht, ohne dass ich dir ein klein wenig zeige, was ich für dich empfinde, ohne wenigstens ein kleines Geheimnis mit dir zu teilen.
»Ich warte«, antwortete Dragosani rasch. »Mach weiter ...«
Am Anfang, sagte das Ding aus der Tiefe, waren alle Dinge gleichgestellt. Der erste Vampir war nicht weniger ein Geschöpf der Natur als der erste Mensch, und genauso wie der Mensch von den niedrigeren Kreaturen um ihn herum lebte, tat es auch der Vampir. Wir beide waren jeder auf seine Art Parasiten. Alle lebenden Dinge sind es. Aber während der Mensch die Geschöpfe, von denen er lebte, tötete, war der Vampir sanfter: Er nahm sie sich einfach als Wirtskörper. Sie starben nicht – sie wurden untot! Auf diese Art ist ein Vampir kein weniger natürliches Geschöpf als ein Neunauge oder ein Blutegel, oder sogar ein kleiner Floh; außer dass sein Wirt lebt, geradezu unsterblich wird, und nicht aufgezehrt wird, wie es bei einem starken parasitischen Befall normalerweise üblich ist. Während sich der Mensch nun zum vollkommenen Wirt entwickelte, entwickelte sich auch der Vampir, und als der Mensch die Natur dominierte, teilte der Vampir diese Dominanz.
»Symbiose«, sagte Dragosani.
Ich kann die Bedeutung des Wortes in deinem Geist lesen, sagte Thibor, ja, es stimmt – außer dass der Vampir es bald lernte, sich zu verbergen! Denn im Verlauf der Evolution trat ein einzigartiger Wandel ein: Zuvor konnte der Vampir getrennt von seinem Wirt leben, aber nun war er vollständig abhängig von ihm. Genau wie der Schleimaal, der ohne seinen Wirtsfisch stirbt, muss der Vampir zum bloßen Überleben einen Wirt haben. Wenn die Menschen einen Vampir in ihresgleichen entdeckten, töteten sie ihn einfach! Schlimmer noch, sie lernten, wie man das wichtigere Wesen im Innern tötet!
Und das war nicht das letzte Problem des Vampirs. Die Natur ist ziemlich rücksichtslos und geht seltsame Wege, wenn es um die Korrektur von Fehlern geht. Sie hatte nicht beabsichtigt, dass eines ihrer Geschöpfe unsterblich würde. Nichts, was sie erschafft, darf ewig leben. Und dennoch gab es eine Kreatur, die diesen Grundsatz leugnete; eine Kreatur, die bis in alle Ewigkeit
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