Auferstehung
einem wilden Schlenker und mit rudernden Armen seiner eigenen Falle ausweichen musste. »Vorsichtig, Stiefvater!«, rief Keogh über seine Schulter und flitzte davon. »Ich bin fast mit dir zusammengestoßen.«
Dragosani und Batu lauschten. Batu sagte: »Der junge Kerl da hat ganz schön Glück – bis jetzt.«
»Ach?« Dragosani bezweifelte, dass Glück irgendetwas damit zu tun hatte. Shukshin hatte Keoghs Talent nicht genau bezeichnen können: Was, wenn er ein Telepath wäre? Er hätte die Macht, die verräterischen Gedanken seines Stiefvaters direkt aus dessen Kopf zu holen. »Ich habe das Gefühl, dass das Ganze etwas schwieriger für unseren Erpresser wird, als er gedacht hat.«
Shukshin war zum Stillstand gekommen und stand nun bewegungslos in einer eigenartig gekrümmten Haltung auf dem Eis; aufmerksam beobachtete er, wie Keogh weiter seine Kreise zog. Schultern und Brust des Russen hoben und senkten sich krampfartig, und er zitterte sichtlich, als ob er Schmerzen hätte oder unter großem emotionalem Stress litt.
»Hier entlang, Harry«, rief er schroff. »Hier entlang! Ich befürchte, du bist zu gut für mich. Du könntest ja im Kreis um mich herum laufen!«
Keogh kam zurück, umkreiste wieder und wieder die gebeugte Gestalt des anderen. Und mit jedem Schwung näherten sich seine Schlittschuhe Zentimeter für Zentimeter der Katastrophe. Shukshin streckte seine Arme aus, und Keogh ergriff seine Hände, wirbelte um den älteren Mann herum und drehte ihn um seine eigene Achse.
»Und jetzt«, flüsterte Max Batu Dragosani zu, »der Coup de Glace! «
Plötzlich hörte Shukshin auf, sich zu drehen, und schien auf Keogh zu fallen. Keogh versuchte, nach hinten auszuweichen. Ihre Hände waren immer noch ineinandergekrallt. Eine von Keoghs Kufen grub sich durch pulverigen Schnee in die Rinne, die Shukshin herausgehackt hatte. Er kam mit einem Ruck zum Stehen, und nur Shukshins Griff um seine Handgelenke verhinderte, dass er auf die wackelige Eisplatte fiel.
Dann lachte Shukshin ein wahnwitziges, bellendes Lachen und stieß Keogh von sich fort – stieß ihn dem Tod entgegen. Keogh hielt sich jedoch an den Ärmeln von Shukshins Mantel fest. So stark er gestoßen wurde, so sehr zerrte er an den Ärmeln. Shukshin verlor die Balance und machte einen Satz nach vorne; Keogh neigte sich zur Seite und schleuderte ihn über seine Hüfte – aber als er Shukshin losließ, klammerte sich der Russe immer noch an ihn!
Mit wütendem Gebrüll stürzte der Ältere auf die lose Platte und zog Keogh mit sich. Ineinander verheddert prallten beide aufs Eis, das sich sofort unter ihnen bewegte. An den Rändern des Eises knallte es wie winzige Pistolenschüsse; Wasser sprühte in schwarzen Fontänen auf, als die Platte sich neigte und in zwei Hälften zersprang; Shukshin stieß einen Schrei des Entsetzens aus – den seltsamen, wahnsinnigen Schrei eines verwundeten Tiers – und der eisige Halbkreis, der ihn und Keogh trug, kippte um und tauchte sie in das bitterkalte, gurgelnde Wasser.
»Schnell, Max!«, schnappte Dragosani. »Wir können es uns nicht leisten, beide zu verlieren.« Er stürmte aus der Deckung hervor. Batu blieb ihm dicht auf den Fersen.
»Wen möchten Sie lieber retten?«, keuchte der Mongole, als sie auf die Eisfläche sprangen.
»Keogh«, antwortete Dragosani sofort, »falls möglich. Er weiß mehr über die britische Organisation als Shukshin. Und er hat sein Talent – was immer es ist.«
Noch während er sprach, hatte Dragosani eine fantastische Idee, eine Idee, auf die er vorher nie gekommen war. Wenn er die Nekromantie von einem untoten Ding ›lernen‹ und damit den Toten ihre Gedanken und Geheimnisse entreißen konnte –, konnte er dann nicht auch ihre Fähigkeiten an sich bringen? Im Schloss Bronnitsy waren alle Agenten letztendlich Verbündete und arbeiteten auf derselben Seite. Hier in England jedoch waren die ESPer Feinde! Warum sollte er Keoghs bislang unbekanntes Talent nicht stehlen – und es für seine eigenen Zwecke gebrauchen?
Lautes Schnauben und Keuchen ertönte aus dem Loch im Fluss, in dem Brocken von Eis in dunklem aufgewühltem Wasser herumwirbelten. Als Batu und Dragosani sich vorsichtig der Kante näherten, hörten jedoch alle Geräusche auf. Sie wurden nur von dem Gurgeln und Klatschen von Wasser, das sich unter dem Eis bewegte, empfangen. Eine Hand schoss aus dem Wasser und klammerte sich an den Rand, aber bevor sie nach ihr greifen konnten, ging sie wieder unter.
»Hier
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