Auferstehung
und wand sich krampfartig, während das letzte Leben aus ihr strömte.
Dragosani trat noch weiter zurück, und in seinem Geist vernahm er den tiefen Seufzer des Vampirs, einen Seufzer des Entzückens und der widernatürlichen Gier.
Ahhhh! Nicht ganz mein Geschmack, aber ohne jeden Zweifel befriedigend. Ich schulde dir Dank, mein Sohn, aber das kann bis morgen warten. Geh jetzt, denn ich bin müde und hungrig, und Einsamkeit ist eine Droge, der ich noch nicht abgeschworen habe ...
Dragosani musste nicht zweimal gebeten werden. Er zog sich von der zerfallenen Gruft und dem zuckenden Bündel im Mittelpunkt des Kreises zurück. Dennoch suchten seine Augen aufmerksam nach Anzeichen für die neue Freiheit, die neue Beweglichkeit des Vampirs. Der Nekromant konnte jetzt unter seinen Füßen fühlen, wie Thibor Ferenczy sich bewegte, konnte spüren, wie er sich streckte, konnte das Knacken ledriger Muskeln und das Knirschen alter Knochen fast hören; sie saugten sich mit Blut voll und ein wenig ihrer Morschheit verging.
Und dann ... Der Kadaver des Schafs sackte zusammen und lag flacher, dichter auf der blutgetränkten Erde. Als hätten geologische Kräfte das Tier angezogen, als besäße die Erde selbst ein saugendes Maul. Irgendetwas rührte sich unter dem geschlachteten Vieh, aber Dragosani konnte nichts mit Gewissheit erkennen. Er wich zurück, stieß gegen einen Baum und tastete sich schnell um ihn herum und brachte den rohen Stumpf zwischen sich und das Geschehen. Dennoch waren seine Augen auf den Kadaver fixiert.
Das Tier war groß und dicht mit Wolle bedeckt, aber während Dragosani zusah, schien es ein wenig zu schrumpfen, in sich zusammenzufallen! Der Nekromant schickte eine mentale Sonde zu dem Ding in der Erde, aber sie stieß auf ein solches Ausmaß gieriger Bestialität, dass er diesen Versuch sofort aufgab. Das Schaf schrumpfte immer weiter, verschwand schließlich.
Während das Schaf verschlungen wurde, begann der kalte Boden im Umkreis zu dampfen, es erhob sich ein stinkender Dunst, der rasch dichter wurde und den Blick auf den Vorgang verbarg. Es war, als ob die Erde schwitze – oder als ob irgendetwas dort unten atme, das schon seit langer, langer Zeit nicht mehr geatmet hatte.
Es war genug. Dragosani wandte sich ab und gesellte sich rasch zu Max Batu. Mit einem Finger an den Lippen gebot er dem anderen, ihm zu folgen, und schnell liefen sie zusammen die Feuerschneise hinab und gingen zum Wagen zurück.
Früher am gleichen Tag und über 1200 Kilometer entfernt entschied Harry Keogh, der am Grab von August Ferdinand Möbius (geboren 1790, gestorben am 26. September 1868) stand, dass dies ein ganz schwarzer Tag für die Wissenschaft der Zahlen gewesen sei, ein wirklich schwarzer Tag. Um genauer zu sein: Ein schwarzer Tag für die Topologie, und nicht zu vergessen, für die Astronomie. Der fragliche Tag war natürlich Möbius’ Todesdatum.
Es waren bereits zuvor Studenten hier gewesen – hauptsächlich Ostdeutsche, aber Studenten glichen sich ja überall – langhaarig und nachlässig gekleidet; aber mit angemessenem Respekt, hatte Harry befunden. So sollte es auch sein. Auch er fühlte Respekt, ja sogar Ehrfurcht, in der Gegenwart eines solchen Menschen. Auf jeden Fall hatte Harry gewartet, bis er allein war – allzu eigenartig wollte er nicht erscheinen. Er hatte auch darüber nachdenken müssen, wie er sich Möbius am besten näherte. Es war keine gewöhnliche Gestalt, die hier lag, sondern ein Gelehrter, der geholfen hatte, die Wissenschaft auf den rechten Weg zu bringen.
Schließlich hatte sich Harry für die direkte Annäherung entschieden; er nahm Platz und ließ seine Gedanken schweifen und in Kontakt treten mit jenen des Toten. Eine große Ruhe überkam Harry; seine Augen nahmen ihren seltsamen glasigen Ausdruck an; es war bitterkalt, doch eine feine Schicht Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Langsam nahm er bewusst wahr, dass wirklich Möbius – oder was von ihm übrig war – anwesend war. Und er war aktiv!
Formeln, Zahlentafeln, astronomische Entfernungen und nichteuklidische, Riemann’sche Konfigurationen prasselten auf Harrys Bewusstsein ein wie im Takt eines gewaltigen lebendigen Computers. Aber ... dies alles in nur einem einzigen Geist? In einem Geist, der alle diese Gedanken fast zur gleichen Zeit verarbeitete? Und dann dämmerte Harry, dass Möbius an irgendetwas arbeitete, durch Seiten seines Gedächtnisses blätterte, während er die Teilchen eines Puzzles
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