Auferstehung
langsam vor. Er kniete neben Dragosani nieder und ergriff seine Schulter. »Genosse Dragosani.« Batus Stimme war gedämpft, kaum mehr als ein trockenes, krächzendes Wispern. »Ist es vorbei?«
Dragosani hörte auf zu schluchzen. Er ließ seinen Kopf weiter hängen, während er über Batus Frage nachdachte: War alles vorbei? Für Thibor Ferenczy war es das, sicher, aber für den neuen Vampir, die noch unreife Kreatur, mit der sich Dragosani seinen Körper teilte, war es erst der Anfang. Sie würden einander widerwillig ihre jeweiligen Bedürfnisse befriedigen, voneinander lernen, zu einem Wesen werden. Offen blieb die Frage, wessen Willenskraft letztendlich die Oberhand behalten würde.
Gegen jeden gewöhnlichen Menschen musste der Vampir natürlich gewinnen. Jedes Mal. Dragosani aber war alles andere als gewöhnlich. Vielleicht lag irgendwo in seinem Wissen, in den Geheimnissen und seltsamen neuen Kräften die Möglichkeit verborgen, sich von dem Parasiten zu befreien. Nur bis dahin ...
»Nein, Max Batu«, sagte er, »es ist noch nicht vorbei. Noch lange nicht.«
»Was muss ich jetzt also tun?«, fragte der kleine Mongole hilfsbereit. »Wie kann ich helfen? Was brauchen Sie?«
Dragosani starrte weiter auf die dunkle Erde. Wie konnte Batu helfen? Was brauchte er? Interessante Fragen.
Der Schmerz und die Frustration in Dragosani erstarben. Es gab viel zu tun, und die Zeit war knapp.
Er war hierhergekommen, um sich angesichts möglicher Gefahren durch Harry Keogh und das britische E-Dezernat neue Kräfte anzueignen, und diese Aufgabe hatte er immer noch zu erledigen. Thibors Geheimnisse befanden sich nun jenseits seiner Reichweite, sie waren tot und auf ewig vergangen wie der Vampir selbst – aber das durfte nicht das Ende dieser Angelegenheit bedeuten.
Obwohl er sich augenblicklich schwach und erschlagen fühlte, wusste Dragosani, dass er keinen dauerhaften Schaden erlitten hatte. Der Schmerz mochte Narben auf seiner Haut und in seiner Seele (falls er noch so etwas wie eine Seele besaß) hinterlassen, aber diese Narben würden heilen. Er hatte keine echten oder bleibenden Verletzungen davongetragen. Man hatte ihn lediglich ausgeschöpft, entleert – entleert, ja. Das Ding in seinem Innern brauchte etwas, und Dragosani wusste, was das war. Er fühlte Batus Hand auf seiner Schulter und konnte fast hören, wie das Blut in den Adern des Mongolen pulsierte. Dann erblickte Dragosani das scharfe, gekrümmte chirurgische Instrument, mit dem er dem Schaf die Kehle hatte aufschlitzen wollen. Also gut, letzten Endes hatte er dies sowieso vorgehabt. Es würde nun viel früher geschehen, das war alles.
»Ich brauche zwei Dinge von Ihnen, Max«, sagte Dragosani und schaute auf.
Max Batu keuchte laut und sein Kiefer klappte nach unten. Die Augen des Nekromanten waren so scharlachrot wie die des Ungetüms, das er gerade eben zur Strecke gebracht hatte! Der Mongole sah es – sah noch etwas anderes, das silbrig in der Nacht glitzerte – und dann sah er ... nichts mehr. Nie wieder.
ZWEITER EINSCHUB
»Ich muss aufhören«, erklärte Alec Kyle seinem seltsamen Besucher. Er legte den Bleistift hin und massierte sein verkrampftes Handgelenk.
Der Schreibtisch war übersät mit den Spänen von fünf Bleistiften, die alle bis zu Stümpfen heruntergeschrieben waren. Dies war Kyles sechster Stift, und sein Arm fühlte sich vom hektischen Kritzeln an wie durch die Mangel gedreht.
Ein dünner Stapel Papier war vor Kyle aufgeschichtet, Bleistiftnotizen bedeckten jedes Blatt von oben bis unten und über die ganze Breite. Als er begonnen hatte, all dies niederzuschreiben (wann? vor viereinhalb, fünf Stunden?), waren die Notizen noch ziemlich ausführlich gewesen. Nach einer Stunde waren sie nur noch ein Geschmier, ein kaum lesbares Gekritzel. Jetzt konnte sie auch Kyle selbst kaum noch lesen und beschränkte die Mitschrift auf Reihen von Daten, neben denen kurze Stichwörter standen.
Nun entspannte er für einen Moment sein Handgelenk und seinen Geist, überflog die Aufzeichnungen und schüttelte den Kopf. Immer noch glaubte er – wusste instinktiv –, dass alles die absolute Wahrheit war, dennoch gab es eine massiv hervorstechende Anomalie. Eine Ambivalenz, die er nicht einfach ignorieren konnte. Kyle runzelte die Stirn und schaute zu der Erscheinung auf, die aufrecht an der anderen Seite des Schreibtischs schwebte. Er kniff die Augen zusammen, während er diese schimmernde Gestalt in Form eines Menschen betrachtete und sagte:
Weitere Kostenlose Bücher