Auferstehung
Sie tun?« Er beäugte neugierig Dragosanis Sonnenbrille und seine hageren grauen Gesichtszüge.
Dragosani nickte, als ob er stumm irgendetwas bestätigte, und sagte: »Ich sehe, dass Sie mich erwartet haben.«
»Ja, ich hatte damit gerechnet, Sie zu treffen«, antwortete Vlady vorsichtig.
Dragosani entschied sich dagegen, noch weiter um den heißen Brei herumzureden.
Falls Vlady nicht die richtigen Antworten parat hatte, würde er ihn einfach töten. Letztendlich würde er das wahrscheinlich sowieso tun. »Also gut, ich bin hier. Jetzt sagen Sie mir: Wie wird es geschehen?«
Vlady war ein kleiner Mann mit dunklem Einschlag und gewöhnlich so offen wie ein Buch. Das war jedenfalls der Eindruck, den er in anderen erweckte. Jetzt hob er eine Augenbraue und setzte einen Ausdruck milder Verblüffung auf. »Wie wird was geschehen?«, fragte er unschuldig.
»Hören wir doch auf mit dem Blödsinn«, sagte Dragosani. »Sie wissen doch wahrscheinlich schon ganz genau, warum ich hergekommen bin. Dafür werden Sie bezahlt: Ihre Fähigkeit, Ereignisse vorauszusehen. Ich frage Sie also noch einmal: Wie wird es geschehen?«
Vlady schnitt eine finstere Miene. »Mit Borowitz, meinen Sie?«
»Zunächst das, ja.«
Vladys Gesicht nahm einen seltsam gelassenen, fast kalten Ausdruck an. »Er wird sterben«, sagte er emotionslos. »Morgen Mittag, oder um diese Zeit herum. Ein Herzinfarkt. Außer dass ...« Er machte eine Pause und runzelte die Stirn.
»Außer was?«
Vlady zuckte mit den Schultern. »Ein Herzinfarkt«, wiederholte er.
Dragosani nickte, seufzte, und entspannte sich ein wenig. »Ja«, sagte er, »so wird es geschehen. Und was ist mit mir – und Ihnen?«
»Ich sehe nie für mich selbst in die Zukunft. Es ist verführerisch, sicher, aber viel zu frustrierend. Die Zukunft zu kennen und nichts daran ändern zu können. Es ist auch beängstigend. Und bei Ihnen ... das ist ein bisschen eigenartig.«
Dragosani gefiel es nicht, wie das klang. Er stellte sein Glas ab und beugte sich vor. »Was ist eigenartig?«, fragte er.
Vlady füllte Wodka nach. »Lassen Sie uns erst einmal etwas klarstellen. Genosse, ich bin nicht Ihr Rivale. Ich habe keinen Ehrgeiz im Hinblick auf das E-Dezernat. Nicht im Geringsten. Ich weiß, dass Borowitz mich für den Job im Sinn hatte – zusammen mit Ihnen – aber das interessiert mich einfach nicht. Ich glaube, Sie sollten das wissen.«
»Sie meinen, Sie lassen mir den Vortritt?«
»Ich lasse niemandem den Vortritt«, sagte Vlady kopfschüttelnd. »Ich will den Job einfach nicht, das ist alles. Ich beneide niemanden um diese Arbeit. Yuri Andropow wird nicht ruhen, bis er uns alle erledigt hat – selbst wenn es den Rest seines Lebens kostet! Offen gesagt, wäre ich verdammt froh, wenn ich aus dem Ganzen völlig raus könnte. Wussten Sie, dass ich ein ausgebildeter Architekt war, Dragosani? In die Zukunft sehen? Ich sehe mir lieber Pläne von großartigen Gebäuden an.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?« Dragosani war neugierig. »Das hat doch nicht das Geringste damit zu tun.«
»Doch. Es hat etwas mit dem Leben zu tun. Und ich will leben. Hören Sie, Dragosani, ich weiß, dass Sie etwas mit Borowitz’ Tod zu tun haben werden. Mit seinem ›Herzinfarkt‹. Wenn Sie ihn besiegen können, und das werden Sie, welche Chancen sollte ich dann haben? Ich bin nicht mutig, Dragosani, und ich bin nicht dumm. Das Dezernat gehört ganz Ihnen ...«
Wieder beugte sich Dragosani vor. Seine Augen waren Nadeln aus rotem Licht, das durch die dunklen Linsen seiner Sonnenbrille stach. »Aber es ist doch Ihre Pflicht, Borowitz so etwas zu berichten, Igor. Ganz besonders diese Sache. Wollen Sie mir sagen, Sie hätten ihm nichts erzählt? Oder weiß er in Wirklichkeit bereits, dass ich ... beteiligt sein werde?«
Vlady schüttelte sich und richtete sich auf. Einen Moment lang fühlte er sich fast hypnotisiert von Dragosani. Der Blick des Mannes war wie der einer Schlange. Oder eines Wolfs? Jedenfalls etwas nicht ganz Menschlichem. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das alles überhaupt erzählt habe«, sagte er schließlich. »Es könnte ja sogar sein, dass das alte Schlachtross Sie selbst zu mir geschickt hat!«
»Aber würden Sie das denn nicht wissen?«, fragte Dragosani. »Wäre das nicht etwas, was Sie mit Ihrem Talent vorhergesehen hätten?«
»Ich kann nicht alles sehen!«, fuhr ihn Vlady an.
Dragosani nickte. »Hmm! Nein, er hat mich nicht geschickt. Jetzt sagen Sie mir ehrlich: Weiß er,
Weitere Kostenlose Bücher