Auferstehung
Borowitz und nickte fügsam, während er sich schwor, dass dieser Hurensohn eines Tages für diese kalte und spöttische Unterstellung von Unfähigkeit bezahlen würde. Und auch für sein selbstgefälliges Auftreten und völlig unangebrachtes Gebaren der Überlegenheit.
Während der Anhörung stellte sich heraus (so schilderte es Borowitz), dass einer von Borowitz’ Untergebenen, Andrej Ustinov, unter den Belastungen seiner Arbeit zusammengebrochen und Amok gelaufen war. Er habe den KGB-Agenten Hadj Gartezov getötet und versucht, das Schloss mit Sprengkörpern in die Luft zu jagen. Er habe sogar Borowitz selbst verwundet, bevor man ihn aufhalten konnte. Unglücklicherweise seien dabei zwei weitere Personen ums Leben gekommen und ein Dritter verletzt worden, jedoch sei niemand davon ein Bürger von großer Bedeutung gewesen. Der Staat werde für ihre Familien tun, was in seiner Macht stand.
Nach dem ›Zwischenfall‹ und bis er vollständig aufgeklärt werden konnte, war es leider notwendig gewesen, ein zweites Mitglied von Andropows KGB auf dem Schloss festzuhalten. Dies sei unvermeidlich gewesen; mit Ausnahme eines Hubschrauberpiloten habe Borowitz niemandem gestattet, das Gelände zu verlassen. Selbst der Pilot hätte bleiben müssen, wäre nicht die Anwesenheit eines Arztes dringend erforderlich gewesen. Was die Verwahrung des Agenten in einer Zelle betraf, so geschah das zu dessen eigener Sicherheit. Bis sich herausgestellt habe, dass nicht der KGB selbst Ustinovs Hauptziel war – dass es überhaupt kein ›Ziel‹ als solches gegeben habe, sondern einfach nur ein Mann verrückt geworden und Amok gelaufen war –, habe Borowitz es als seine Pflicht betrachtet, für die Sicherheit des Agenten zu sorgen. Schließlich war ein toter KGB-Mann schon einer zu viel; eine Ansicht, der Andropow doch sicher beipflichte.
Kurzum, die gesamte Anhörung war kaum mehr als eine Wiederholung von Borowitz’ ursprünglicher Erklärung und seinem Bericht. Die Exhumierung, Ausweidung und nekromantische Untersuchung eines gewissen ehemaligen MWD-Beamten wurde mit keinem Wort erwähnt. Hätte Andropow davon gewusst, so hätte es ein Problem gegeben, doch er wusste nichts. Die Sachlage hätte sich sicherlich auch dadurch nicht verbessert, dass er selbst vor nur acht Tagen einen Kranz auf das frische Grab des Unglücklichen gelegt hatte – oder dadurch, dass die ausgeweidete Leiche im Augenblick in einem anderen, unbezeichneten Grab irgendwo auf dem Gelände von Schloss Bronnitsy lag ...
Was den Rest anging: Minister Djannov stellte einige unfeine Fragen über die Arbeit oder den Zweck von Borowitz’ Dezernat, woraufhin Borowitz erstaunt, wenn nicht erbost dreinblickte.
Breschnews Vertreter hatte gehustet und die Frage beiseite geschoben. Was sei schließlich der Nutzen einer geheimen Organisation, die all ihre Geheimnisse enthülle? Tatsächlich hatte Leonid Breschnew bereits im Vorfeld alle direkten Fragen bezüglich des Psi-Dezernats und seinen Aktivitäten untersagt. Schließlich sei Borowitz von jeher ein starker Kämpfer für die Sache der Partei sowie ein treuer und mächtiger Unterstützer des Generalsekretärs gewesen.
Die ganze Zeit über war es offensichtlich, dass Andropow schlechte Laune hatte. Liebend gerne hätte er eine Anklage vorgebracht, zumindest aber eine gründliche Untersuchung durch den KGB erzwungen, doch das war bereits untersagt worden – oder anders formuliert: Man hatte ihn davon ›überzeugt‹, diesen Weg nicht zu beschreiten.
Als alles erledigt war und die anderen gegangen waren, wurde Borowitz von dem KGB-Chef gebeten, noch eine Weile zu bleiben und mit ihm zu reden. »Gregor«, begann er, als sie allein waren, »Sie wissen natürlich, dass nichts Wichtiges – und damit meine ich wirklich nichts – mir je verborgen bleibt? Wenn etwas bislang unentdeckt ist, heißt das nicht, dass es für immer ein Geheimnis bleibt. Früher oder später erfahre ich doch alles. Darüber sind Sie sich doch im Klaren?«
»Ach, die Allwissenheit!« Borowitz zeigte sein Wolfsgrinsen. »Eine schwere Bürde auf den Schultern jedes Mannes. Genosse, mein Beileid.«
Yuri Andropow lächelte dünn, und seine Augen täuschten hinter den Gläsern seiner Brille Abwesenheit und Leere vor. Doch er gab sich keine Mühe, die Drohung in seiner Stimme zu verbergen, als er sagte: »Gregor, wir alle müssen über unsere Zukunft nachdenken. Gerade Sie sollten das im Hinterkopf behalten. Sie sind kein junger Mann mehr. Wenn Ihr
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