Auferstehung
bedeutete und Unsterblichkeit ultimative Macht, warum hatten die Wamphyri dann versagt? Warum waren die Vampire nicht die Lenker und Herrscher dieser Welt?
Dragosani hatte schon vor Langem eine Art Antwort gefunden; ob sie richtig oder falsch war, vermochte er noch nicht zu entscheiden: Ein Vampir wagt es nicht, sich zu enthüllen, darf nicht als andersartig, als fremd erkannt werden. So gut er nur kann, muss er seine Leidenschaften, seine Begierden, sein natürliches Verlangen nach der reinen Macht beherrschen, sonst wird er entdeckt und vernichtet.
Wenn aber ein gewöhnlicher Mensch die Künste eines Vampirs beherrschen könnte – ein lebender Mensch, im Gegensatz zu einem untoten Wesen –, wäre dieser frei von solchen Beschränkungen. Er müsste nichts weiter verbergen als sein dunkles Wissen selbst ... er könnte fast alles erreichen! Deswegen war Dragosani wieder nach Rumänien gereist; er war sich der Tatsache bewusst, dass seine Pflichten ihn viel zu lange ferngehalten hatten, und er hatte den Wunsch, noch einmal mit dem alten Teufel zu sprechen und all das zu lernen, was es vor dem nächsten Sommer zu lernen gab, wenn die vereinbarte Zeit gekommen war. Ja, die vereinbarte Zeit – dann würden alle Geheimnisse des Vampirs nackt vor ihm liegen, offen und entblößt wie eine ausgeweidete Leiche!
Drei Jahre waren verstrichen, seit er zum letzten Mal hier gewesen war, und es waren arbeitsreiche Jahre gewesen. Arbeitsreich für Dragosani, weil Gregor Borowitz über die ganze Zeit hinweg alle seine ESPer, den Nekromanten eingeschlossen, an die Grenzen ihrer Belastbarkeit getrieben hatte.
Natürlich hatte er sicherstellen wollen, dass sich das Dezernat in den vier Jahren, die ihm Leonid Breschnew gewährt hatte, fest etablierte. Und nun hatte der Generalsekretär erkannt, dass das Dezernat völlig unverzichtbar war. Darüber hinaus war es der geheimste aller seiner Geheimdienste und bei Weitem der unabhängigste – genau wie Gregor Borowitz es gewollt hatte.
Durch Borowitz’ vorzeitige Warnung war Breschnew auf den Absturz seines einstigen politischen Kumpans Richard Nixon in den USA vorbereitet gewesen. Watergate hätte manch anderem russischen Staatschef geschadet oder ihn gar ruiniert, doch Breschnew hatte es tatsächlich geschafft, noch einigen Vorteil herauszuschlagen – aber nur dank Borowitz’ (genauer gesagt: Igor Vladys) Prophezeiungen. »Wie schade«, hatte Breschnew zu Borowitz damals gesagt, »dass für Nixon niemand wie du arbeitet, nicht wahr, Gregor?« In ähnlicher und ebenso vorausgesagter Weise fand sich der Premier in vorteilhafter Position in seinen Verhandlungen mit dem präsidialen ›Ersatzmann‹, der sich bestenfalls durchwurschtelte; schon 1972, vor Nixons Sturz, wusste er, dass amerikanische Hardliner in Bereitschaft standen, und hatte Borowitz’ Ratschlag ernst genommen und ein Satellitenabkommen mit den USA unterzeichnet. Außerdem hatte er schnell seine Unterschrift unter den ultimativen Entspannungscoup seiner Karriere gesetzt, vor allem weil Amerika sehr weit fortgeschritten in der Weltraumtechnologie war: Skylab, das gemeinsame Raumfahrtunternehmen, das erst jetzt zur Blüte kam.
In der Tat hatte der sowjetische Staatschef auf diese und viele anderen Vorschläge oder Prognosen des E-Dezernats hin die Initiative ergriffen. Die Ausweisung vieler Dissidenten und die ›Heimholung‹ von Juden eingeschlossen. Jeder bislang unternommene Schritt hatte seine bereits ehrfurchtgebietende Position als Führer noch weiter ausgebaut. Weil dies zum Teil, wenn nicht gar völlig, Borowitz und seinem Dezernat zu verdanken war, hatte es Breschnew gefallen, das Übereinkommen zwischen ihm und Borowitz von 1971 zu würdigen.
Solange Breschnew und sein Regime blühten, gedieh auch Gregor Borowitz; ebenso wie Boris Dragosani, dessen Loyalität zum Dezernat über jeden Zweifel erhaben war. Und er war tatsächlich loyal – im Moment ...
Während Gregor Borowitz den Bestand seines Dezernats sichergestellt hatte und in Leonid Breschnews Ansehen gestiegen war, hatte sich seine Beziehung zu Yuri Andropow in umgekehrt proportionalem Verhältnis verschlechtert; zwar gab es keine offenen Feindseligkeiten, aber hinter den Kulissen war Andropow so eifersüchtig und intrigant wie eh und je. Dragosani wusste, dass Borowitz Andropow weiterhin genau im Auge behielt. Was der Nekromant jedoch nicht wusste, war, dass Borowitz auch ihn beobachtete! Natürlich stand Dragosani nicht unter irgendeiner Art von
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