Aufgebügelt: Roman (German Edition)
man sofort erkennt, dass er bestimmt auch mal ähnlich gut aussah wie sein Sohn, »das ist der Vati.«
»Ja, dann guten Abend allerseits!«, versuche ich Haltung zu bewahren.
Kaum dass ich mich versehe, sitze ich auf der hellbraunen Alcantaracouch und habe ein Glas Rotwein in der Hand. Eingerahmt von Mutti und Vati.
»Ja, das sind meine Eltern!«, äußert sich nun auch Bastian.
Ich würde ihn am liebsten in den Flur zerren und ihm eine schmieren. Was denkt dieser Mann sich? Hätte er nicht vorher, im Lokal oder spätestens im Auto, wenigstens mal eine Andeutung machen können? Oder hat er die gemacht und ich habe nur nicht richtig hingehört? Will der jetzt hier nett »Hallo« sagen und mich dann in seinem Kinderzimmer ordentlich durchvögeln, während seine Eltern Markus Lanz und Andrea Kiewel gucken? Wie bizarr ist das denn?
»Ja, Mutti, Vati, wir gehen dann mal in mein Zimmer!«
»Ach, des ist jetzt aber schade!«, zeigt sich Herr Reimer senior enttäuscht.
»Stellt euch mal vor, ich habe der Andrea von meiner Fußballkarriere erzählt, und sie will sich auch gern die Bilder dazu anschauen«, sagt Bastian und zwinkert mir zu. »Deshalb gehen wir rüber, ich will sie ihr zeigen.« Wieder zwinkert er.
Welche Bilder? Der hat doch kein Wort von Bildern gesagt, das hätte ich doch mitbekommen. Und ich habe hundertprozentig nicht nach Fotobelegen verlangt. Daran könnte ich mich erinnern. Nur meine Wohlerzogenheit verhindert, dass ich laut aufschreie. Aber wahrscheinlich ist es nur ein eleganter Kniff, um aus dem Wohnzimmer zu entkommen.
»Ich kann die Alben doch schnell rüberholen, wir schauen die doch auch so gern an!« Mit diesen Worten erhebt sich Vati vom Sofa und läuft ins Kinderzimmer. Bastian zuckt nur mit den Schultern. Alben! Plural! Bin ich in einem Horrorfilm gelandet? Die Alben des Grauens? Beladen mit vier Fotoalben lässt sich Vati wieder neben mich auf die Couch plumpsen.
»Rück mal«, fordert ihn Bastian auf, und dann sitze ich eingerahmt von Herrn Reimer senior und Herrn Reimer junior nachts um 23 Uhr 25 auf einer hässlichen Couch und werde mir wahrscheinlich die nächsten hundert Stunden furzlangweilige Bilder anschauen. Kickerbildchen. Wehmütig denke ich an meine Unterwäsche! An meinen Tascheninhalt will ich erst gar nicht denken.
»Wollen Sie denn noch einen Happen essen? Wir freuen uns so, dass der Basti mal jemanden mit nach Hause bringt. So eine nette Überraschung! Das macht er ja sonst nie. Vati, mach mal den Fernseher aus, jetzt wo die junge Dame hier ist!«
Obwohl ich vehement beteuere, keinen Hunger zu haben, tischt Frau Reimer gleich ordentlich auf. Salzbretzeln, Erdnussflips und kleine Frikadellen.
»Mutti, bitte lass das doch mal!«, geniert sich Bastian wenigstens. »Wir wollten es uns eigentlich drüben bei mir ein bisschen nett machen!«
Aber Mutti kann es nicht lassen. »Basti, gönn uns doch die kleine Freude. Sei doch nicht so!«, weist sie ihn liebevoll in die Schranken. Wie komme ich aus dieser Nummer nur jemals wieder raus? Gar nicht, wie ich sehr schnell merke. Reimer Senior und seine Gattin scheinen extrem stolz auf ihren Sohn zu sein. Basti als Baby, Basti bei der Einschulung, Basti als Cowboy und Clown an Fasching, Basti beim Schwimmen, beim Picknick, beim Rollschuhlaufen, Basti mit Windpocken. Und zu jedem einzelnen Foto gibt es noch eine kleine Geschichte. Seit Basti fünf Jahre alt ist, spielt er Fußball, und die Reimers haben jeden Schuss mit dem Fotoapparat festgehalten. Ich sitze eingeklemmt auf einer Alcantaracouch – »Macht nichts, wenn Sie kleckern. Das kann man abwischen. Praktisch, gell?« – und verplempere meine Lebenszeit! Auch wenn Bastian seinen Oberschenkel gegen meinen presst. Aber das ist selbst mir doch etwas zu wenig.
Einmal schaffe ich es, zur Toilette zu flüchten und Sabine eine SMS zu schreiben. Hol mich hier raus! Ruf mich in zehn Minuten an und erzähl irgendwas mit den Kindern! Sag, dass ich schnell kommen muss! Natürlich könnte ich das auch allein erledigen, aber die Eltern Reimers sind so enthusiastisch, dass ich es einfach nicht übers Herz bringe, ihnen die Freude zu nehmen. So wird es wohl auch Bastian gehen, denke ich. Sabine simst ein kurzes »Mach ich! Dafür aber später detaillierten Bericht!« zurück.
Beruhigt und im Wissen, dass es gleich vorbei sein wird, setze ich mich wieder aufs Sofa. Normalerweise ist Sabine eine zuverlässige Person, warum sie mich aber ausgerechnet jetzt hängenlässt, weiß ich
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