Aufgebügelt: Roman (German Edition)
vorgestellt. Ich will doch keinen Sex mit jemandem, der kaum mehr seinen eigenen Namen buchstabieren kann! Besoffensein mag sich vielleicht gut anfühlen, aber gut aussehen tut es selten. Auch bei Rakete nicht. Der Alkohol hat Spuren hinterlassen. Jetzt hier, mitten in der Nacht, sieht er ein bisschen verlebt aus. Seine Augen sind rot, die Nase auch, man sieht geplatzte Äderchen, seine Haare sind irgendwie strähnig, und seine Aussprache ist auch nicht mehr so deutlich.
»Ausziehen!«, grölt er.
»Ich bin ausgezogen, falls dir das noch nicht aufgefallen ist!«, sage ich und lege mich zurück ins Bett. Er kickt seine Schuhe von den Füßen und lässt die Hose fallen. In Hemd, Unterhose und Socken kriecht er ins Bett und grunzt wohlig.
»Ihr scheint ja einen lustigen Abend gehabt zu haben!«, stelle ich lakonisch fest und versuche, keine komplette Spaßbremse zu sein.
Er lacht. Immerhin, er kann mich noch verstehen. Er krabbelt ein bisschen planlos an meinem Bauch herum. Ausgerechnet am Bauch! Ich versuche ihn einzuziehen, denke aber, so betrunken wie der ist, kann der auch nichts mehr wirklich beurteilen.
»Na, Specki!«, sagt er auf einmal.
Specki! Der hat tatsächlich Specki zu mir gesagt. Sein Tastsinn funktioniert wohl noch. Da ist mir ja sogar Andi lieber. Specki. Soll das ein Kompliment sein? Wie charmant. Er rollt sich auf mich und ist schwerer als erwartet. Sexy ist definitiv etwas anderes. Er reibt sich an meinem Körper und bei mir tut sich rein gar nichts. Ich drehe den Kopf zur Seite, als er mich küssen will. Er knabbert an meinem Hals und saugt sich fest.
»Hey«, schüttle ich den Kopf, »keinen Knutschfleck bitte!«
Das würde mir noch fehlen. Mutti kommt vom Wellness-Wochenende mit Freundin Sabine und hat einen riesigen Knutschfleck am Hals. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Knutschfleck hatte. Es ist lange her – so viel steht fest.
Als er seine Unterhose abstreift, kann ich zum ersten Mal einen Blick auf sein vermeintlich bestes Stück werfen. Es ist nicht in Bestform, hoffe ich jedenfalls für ihn. Eher Modell Wiener-Würstchen, das ein bisschen ältlich ist – lang zwar, aber schrumpelig und dünn. Ich glaube, auch er merkt, dass da nicht mehr viel geht. Er rollt sich auf die Seite, und innerhalb von wenigen Minuten schläft er. Natürlich schnarcht er, was zu erwarten war. Ich bin ziemlich ernüchtert. Aber vielleicht sieht morgen früh schon wieder alles anders aus. Schlimmer kann es ja eigentlich nicht mehr werden.
4
Um 8:00 Uhr piept mein Handy. Draußen scheint die Sonne – immerhin. Neben mir liegt ein Mensch, der ziemlich komatös aussieht. Allein das leichte Schnarchen zeigt, er lebt.
Auf Zehenspitzen schleiche ich ins Bad. Ich habe Schlaf in den Augenwinkeln, und meine Wimperntusche ist verschmiert. Ans Abschminken habe ich heute Nacht natürlich nicht mehr gedacht. Aber es ist doch auch so: Egal wie gründlich man sich abschminkt, irgendein Rest findet sich am nächsten Morgen erstaunlicherweise immer. Ich gehe aufs Klo und lasse dabei – alter Trick – ein bisschen das Wasser ins Waschbecken laufen. So kann man von draußen das Geplätscher wenigstens nicht eindeutig zuordnen. Dann kämme ich mich, putze mir die Zähne, trage einen Hauch Rouge und Wimperntusche auf und krieche zurück ins Bett.
Ich bin die personifizierte Morgenfrische. Es soll ja Frauen geben, die so was tatsächlich immer machen. Jeden Morgen. Deren Männer sie angeblich noch nie komplett in natura gesehen haben. Um 8:20 Uhr stupse ich Rakete ein bisschen an. Er grummelt.
»Guten Morgen!«, flöte ich sanft.
»Morgen«, antwortet er und seine Stimme klingt belegt. »Uah, hab ich ’nen Kopf!«, stöhnt er.
Kein Wunder, will ich sagen, riech erst mal deinen Atem, damit könntest du glatt als Anästhesist arbeiten, lasse es aber. Stattdessen kraule ich ihm ein bisschen den Oberschenkel. Er schwingt die Beine aus dem Bett, sitzt auf der Bettkante und greift sich an den Kopf.
»Hast du eine Kopfschmerztablette?«, fragt er.
»Leider nein. Aber ein bisschen Wasser ins Gesicht und was trinken hilft auch«, schlage ich vor.
Er verschwindet im Bad. Hoffentlich putzt er sich auch die Zähne. Ja, Klo und Zähneputzen – die Geräusche sind sehr eindeutig. Er kriecht zurück ins Bett und verliert keine Zeit.
»Tut mir leid mit gestern, ich war anscheinend sehr müde«, entschuldigt er sich.
Immerhin eine Entschuldigung, obwohl müde wohl kaum die richtige Bezeichnung ist.
Weitere Kostenlose Bücher