Aufstand der Alten
besagte, die Soldaten dürften ihre Unterkünfte nicht verlassen und stürben wie die Fliegen.
Wie sie vor dem weißgekachelten Fischgeschäft in der Schlange der Wartenden stand, fand Martha, daß ihre geheimen Ängste dieses letztere Gerücht bereitwilliger akzeptierten. Die heiße Luft schien vom Geruch des Todes gesättigt zu sein. Wie die meisten anderen Frauen hatte auch sie Nase und Mund mit einem Halstuch geschützt.
»Ich habe meinem Mann gesagt, es wäre mir lieber, er würde sich nicht melden«, sagte die Frau neben Martha, »aber wenn er nicht hören will, dann hört er nicht. Wissen Sie, er hat in einer Tankstelle gearbeitet, und es war ein guter Posten, aber er meint, sie würden ihn früher oder später entlassen, und da wäre er in der Armee besser aufgehoben. Ich habe es ihm gesagt, ich sagte: ›Ich habe genug vom Krieg, und du solltest auch die Nase voll haben‹, aber er sagte: ›Das hier ist anders als der richtige Krieg, es ist eine Sache, wo jeder für sich selber kämpft.‹ Man weiß wirklich nicht, was nun richtig ist, finden Sie nicht auch?«
Als sie mit ihrer Ration Trockenfisch in ihre Wohnung zurückkehrte, gingen ihr die Worte der Frau immer noch im Kopf herum.
Sie setzte sich an den Küchentisch und legte den Kopf auf die Arme. In dieser Lage ließ sie ihren Gedanken freien Lauf und wartete auf jenes vertraute Motorengeräusch, das Algy Timberlanes Rückkehr ankündigen würde.
Als sie es endlich hörte, lief sie die Treppe hinunter und warf sich ihm an den Hals. Aber er stieß sie zurück.
»Ich bin schmutzig und verseucht, Martha«, sagte er. »Rühre mich nicht an, bis ich mich gewaschen und diese Jacke ausgezogen habe!«
»Was ist los? Was ist geschehen?«
Er hörte die hysterische Note in ihrer Stimme. »Sie sterben, verstehst du. Die Leute, überall.«
»Ich weiß, daß sie sterben.«
»Nun, es wird schlimmer. Die Cholera hat sich von London bis hierher ausgebreitet. Die Leute brechen auf den Straßen zusammen und können nicht abtransportiert werden. Die Armee tut was sie kann, aber die Soldaten sind gegen die Krankheit genausowenig immun wie jeder andere.«
»Die Armee! Du meinst Crouchers Männer.«
»Es könnte Schlimmere geben als ihn. Er sorgt für Ordnung. Er sieht die Notwendigkeit ein, so etwas wie einen öffentlichen Dienst zu unterhalten. Er hat Desinfektionstrupps und Hygieneleute unterwegs. Niemand könnte mehr tun.«
»Du weißt, daß er ein Mörder ist. Algy, wie kannst du ihn da noch in Schutz nehmen?«
Sie gingen hinauf. Timberlane warf seine Jacke in eine Ecke. Er wusch sich die Hände und setzte sich mit einem Glas und einer Flasche Gin an den Küchentisch. Er vermischte den Alkohol mit etwas Wasser und begann gleichmäßig und mit dumpfer Hingabe zu trinken. Sein Gesicht war schwer und fleischig, die zusammengekniffenen Lippen und die glanzlosen Augen verliehen ihm ein brütendes Aussehen. Schweißtropfen standen auf seinem kahlen Kopf. »Ich will jetzt nicht davon reden«, sagte er. Seine Stimme klang müde.
»Worüber möchtest du reden?«
»Mein Gott, Martha, ich will überhaupt nicht reden. Ich bin krank von diesem Verwesungsgeruch und der Angst. Den ganzen Tag bin ich mit meinem Aufnahmegerät herumgelaufen und habe meine verdammte Arbeit für DAZ getan. Ich will einfach trinken, bis ich von alledem nichts mehr weiß.«
Obwohl sie Mitleid mit ihm hatte, wollte sie es ihm nicht zeigen.
»Algy«, sagte sie leise, »dein Tag war nicht schlimmer als der meine. Den ganzen Tag habe ich hier bei meiner Handarbeit gesessen, bis ich glaubte, verrückt zu werden. Ich habe mit keinem Menschen gesprochen, außer mit einer Frau vor dem Fischgeschäft. Die ganze übrige Zeit war die Tür verschlossen und verriegelt, wie du mir geraten hast. Soll ich hier sitzen und schweigen, während du dich betrinkst?«
»Nein, das erwarte ich nicht von dir.«
Sie ging ans Fenster und kehrte ihm den Rücken zu. Sie hörte sein Glas an der Wand zersplittern.
»Martha, es tut mir leid. Morden, sich betrinken, leben, sterben, alle sind auf die gleiche Ebene gesunken ...«
Martha antwortete nicht. Sie schloß die Augen und fühlte, daß ihre Lider heiß waren. Am Tisch sprach Timberlane weiter.
»Ich werde darüber wegkommen, aber meine arme, liebe, dumme Mutter sterben zu sehen und mich zu erinnern, wie ich sie als Kind geliebt habe ... Ah! Gib mir ein neues Glas, Martha – nein, zwei. Laß uns diesen Gin austrinken. Wie lange soll man alles das noch
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