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Aufstand der Alten

Aufstand der Alten

Titel: Aufstand der Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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etwas Schlechtes zu tun, steckte er die zwei längsten Bleistiftreste ein und öffnete die nächste Schublade. In dieser lagen zwei Fotoalben altmodischer Art. Auf einem lag die gerahmte Fotografie eines Kindes.
    Es war ein Junge von vielleicht sechs Jahren, ein fröhlicher Junge, dessen vertrauensseliges Lächeln eine Zahnlücke zeigte. Er hielt eine Spielzeuglokomotive in den Händen und trug lange, karierte Hosen. Die Aufnahme war bräunlich geworden und etwas verblaßt. Wahrscheinlich war es ein Jugendbildnis des Mannes, der nun achtlos aufgestapelt draußen im Stallschuppen lag.
    Plötzlich standen Tränen in Graubarts Augen. Die Kindheit lag in den verrottenden Schubladen der Welt, eine Erinnerung, die an der Gewalt der Zeit zerbrach. Seit jenem furchtbaren und verhängnisvollen Verbrechen im letzten Jahrhundert waren keine Kinder mehr geboren worden. Es gab keine Kinder mehr, keine Jungen wie diesen. Und inzwischen gab es auch keine Heranwachsenden mehr, keine jungen Männer und Frauen, ja, nicht einmal Leute mittleren Alters. Von den sieben Lebensaltern des Menschen war außer dem letzten kaum noch etwas übrig.
    Die Gruppe der Fünfziger ist immer noch ziemlich jugendlich, sagte sich Graubart, die Schultern straffend. Und trotz aller Entbehrungen und Härten, von den vorausgegangenen Schrecken ganz zu schweigen, gab es noch immer viele erstaunliche muntere Sechzig- bis Siebzigjährige. Doch, es würden noch einige Jahre vergehen, bis ... Aber die Tatsache blieb, daß er einer der jüngsten Männer auf Erden war.
    Nein, das war nicht ganz richtig. Die Gerüchte, daß einzelne Paare immer noch Kinder zur Welt brachten, wollten nicht aussterben; und in der Vergangenheit hatte es Fälle gegeben – zum Beispiel die Sache mit Eve, in den frühen Tagen von Sparcot, die ›Major‹ Trouter ein Mädchen geboren hatte und dann verschwand. Einen Monat später waren sie und ihr Baby tot von einer Gruppe Holzsammler aufgefunden worden ... Aber abgesehen von solchen Einzelfällen begegnete man niemals einem Kind oder jungen Menschen. Der Unfall – wie man jenes Ereignis beschönigend zu nennen pflegte – hatte gründlich aufgeräumt. Die Alten hatten die Erde geerbt.
    Das sterbliche Fleisch trug einheitlich die gotischen Formen des Alters. Der Tod stand ungeduldig über dem Land und zählte die letzten Pilger.
    ... Und aus alledem ziehe ich ein schreckliches Vergnügen, gestand Graubart sich ein, während er das verblaßte Kinderlächeln auf der Fotografie betrachtete. Lieber würde ich mich zerreißen lassen, bevor ich es zugäbe, aber irgendwie ist es immer da, ein grausames Gefühl, das aus einem weltweiten Unheil einen persönlichen Triumph macht. Vielleicht ist es diese dumme Vorstellung von mir, daß jede Erfahrung von Wert sei. Vielleicht ist es das Wissen, daß ich nie ein komischer alter Kauz sein werde selbst wenn ich hundert Jahre alt werden sollte: Immer werde ich der jüngeren Generation angehören.
    Er schlug den albernen Gedanken aus, der so oft in ihm aufgeflackert war. Doch er schwelte weiter. Er hatte ein glückliches Leben gehabt. Inmitten des Unglücks der gesamten Menschheit hatte er wunderbares Glück gehabt.
    Nicht, daß allein die Menschheit gelitten hätte. Die meisten Säugetiere waren genauso vom Verhängnis betroffen worden. Die Hunde und Katzen hatten nicht mehr geworfen. Der Fuchs war fast ausgestorben; nur die Tatsache, daß er seine Jungen in Erdhöhlen aufzog, hatte ihm schließlich zum Weiterbestehen verholfen – das und die Fülle an Nahrung, mit denen das Land aufwartete, seit sich der Zugriff gelockert hatte. Das Hausschwein war noch vor dem Hund ausgestorben. Das Pferd hatte sich als ebenso steril erwiesen wie der Mensch, und daß die Hauskatze schließlich doch überlebt hatte, konnte nur an ihren vergleichsweise zahlreichen Nachkommen pro Wurf liegen. In den letzten Jahren hieß es, daß sie sich in verschiedenen Distrikten wieder vermehre; durchziehende Hausierer hatten von einzelnen Siedlungen berichtet, die unter einer regelrechten Plage verwilderter Hauskatzen litten.
    Auch die größeren Mitglieder der Katzenfamilie hatten schwer gelitten. In den frühen achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war die Geschichte überall auf der Erde die gleiche gewesen: Die Lebewesen der Welt waren unfähig, sich fortzupflanzen. Nur die kleineren Geschöpfe, die unter der Erde hausten, waren ohne Schaden aus jener Periode hervorgegangen, in der die Menschheit zum Opfer ihrer eigenen

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