Aufstand der Alten
ersehnten Schlafs erschien ihr Jeff Pitts Gesicht.
Es war ein von den Jahren unterminiertes Gesicht mit runzligen, eingefallenen Wangen und ruinierten Backenzähnen, ein gewöhnliches Gesicht, das sehr viel Ähnlichkeit mit Towin Thomas' Gesicht und denen anderer Alter hatte. Es fiel ihr auf, daß diese alten Männer in einer Zeit ohne ärztliche und zahnärztliche Fürsorge fast alle Gesichtszüge angenommen hatten, die von anderen Lebensformen entlehnt schienen, von Füchsen oder Nagetieren, von Affen oder der Borke alter Bäume. Sie schienen, so dachte Martha, zunehmend mit der Landschaft zu verschmelzen, die sie bewohnten.
Es war schwierig, sich den weniger abgerissenen Jeff Pitt ins Gedächtnis zurückzurufen, den sie gekannt hatte, als sie zusammen nach Sparcot gekommen waren. Vielleicht war er unter dem Eindruck der damaligen Geschehnisse weniger selbstsicher gewesen. Er hatte bessere Zähne gehabt und seine Armeeuniform getragen. Damals war er ein Soldat gewesen, wenn auch ohne sonderliche Befähigung, kein Schlingensteller. Wie sehr hatte er sich seither verändert!
Aber vielleicht hatten sie sich alle in dieser Periode verändert. Sie hatte elf Jahre gedauert, und bis zu ihrem Beginn waren Umwelt und Leben sehr viel anders gewesen.
2
Sie konnten von Glück sagen, daß es ihnen gelungen war, nach Sparcot zu kommen. Während der letzten Tage in Cowley, dem Fabrikvorort von Oxford, hatten sie nicht geglaubt, daß sie überhaupt entkommen würden. Denn das war im Herbst des trockenheißen Jahres 2018 gewesen, als zu den verschiedenen Plagen, die die Menschheit heimsuchten, die Cholera gekommen war.
Martha war fast eine Gefangene in der Wohnung gewesen, in die man sie und Graubart – aber in jenen Tagen war er noch einfach der dreiundvierzigjährige Algernon Timberlane gewesen – zwangsweise einquartiert hatte.
Nach dem Tod von Algys Mutter waren sie von London nach Oxford gefahren. An der Grenze von Oxfordshire war ihr Lastwagen angehalten worden; sie erfuhren, daß der Belagerungszustand verhängt war und ein Kommandeur namens Croucher mit Hauptquartier in Cowley den Befehl über die Grafschaft ausübte. Militärpolizei hatte sie zu dieser Wohnung eskortiert; obwohl man ihnen keine Wahl gelassen hatte, erwies sich das neue Heim als zufriedenstellend.
Trotz aller Unruhen, die die Welt erschütterten, war Marthas Hauptfeind gegenwärtig die Langeweile. Sie saß mit endlosen Handarbeiten beschäftigt herum und lauschte dem Geriesel leichter Musik aus ihrem Kofferradio; den ganzen langen heißen Tag wartete sie auf Algys Rückkehr.
Wenige Fahrzeuge befuhren die Iffley Road, an der ihr Haus lag. Gelegentlich brummte eins vorbei, und dann bildete sie sich ein, das Motorengeräusch käme ihr vertraut vor, und sie sprang auf und starrte noch lange, nachdem sie ihren Irrtum erkannt hatte, aus dem Fenster.
Martha sah auf eine fremde Stadt hinaus. Noch auf der Herfahrt von London hatten sie, vom Geist des Abenteuers erfüllt, gelacht und geprahlt, wie jung sie sich fühlten und wie sie zu allem bereit wären – doch nun, nach so kurzer Zeit, litt sie schon unter Langeweile und unter Algys zunehmender Trunksucht.
Als sie in Amerika gewesen waren, hatte er viel getrunken, aber dort war das Trinken mit fröhlichen Gefährten wie Jack Pilbeam eine lustige Sache gewesen. Diese fröhliche Unbeschwertheit fehlte jetzt, und sie hatte schon während der letzten Monate in London gefehlt. Die Regierung hatte ein striktes Ausgehverbot verhängt. Marthas Vater war eines Nachts verschwunden, wahrscheinlich ohne Gerichtsurteil verhaftet; und als die Cholera epidemische Formen angenommen hatte, war Patricia, Algys unfähige alte Mutter, von ihrem dritten Ehemann verlassen, im Elend gestorben.
Martha Ließ ihre Finger gedankenverloren übers Fensterbrett streifen; dann schaute sie die Fingerspitzen an und sah, daß sie grau waren.
Die Geschäfte in Cowley öffneten nur nachmittags. Martha war dankbar für die Abwechslung, die ihr das Einkaufen bot. Um auf die Straße zu gehen, kleidete sie sich absichtlich unattraktiv, setzte einen häßlichen alten Hut auf und zog grobe Baumwollstrümpfe über ihre wohlgeformten Beine, denn die Soldaten gingen roh und gewalttätig mit Frauen um.
An diesem Nachmittag sah sie weniger Uniformen als sonst. Ein Gerücht wollte wissen, daß mehrere Abteilungen nach Osten gefahren seien, um die Grenze gegen einen möglichen Angriff aus London zu verteidigen. Ein anderes Gerücht
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