Aufstand der Maschinen
Detroit hatte es also endlich geschafft, das zu produzieren, was es seit Generationen zu produzieren versuchte – die perfekte Mordmaschine.
Teenager in den ersten Reihen kreischten hysterisch und versuchten, die Absperrung zu durchbrechen. Charles Henrys Nachbarn atmeten schwer, und er hörte jemand hinter sich schluchzen.
»So schön ... so wunderschön!«
»Perfekt ... absolut perfekt!«
»Herrlich!«
»In solchen Augenblicken hat man wirklich das Gefühl, ein Wunder zu erleben«, behauptete eine Frau vor Charles Henry. Sie hielt ein etwa neunmonatiges Baby hoch. »Sieh dir das an, Liebling, sieh dir das an! Dann kannst du später immer sagen, daß du den Dexter Dash schon am ersten Tag gesehen hast.«
Der Mann neben Charles Henry ließ die leere Popcorn-Tüte fallen und beugte sich vor. »Sehen Sie sich das an! Haben Sie schon einmal etwas Schöneres gesehen? Sehen Sie, wie die Motorhaube leicht abfällt? Sehen Sie das ...«
Zwei Plätze weiter sackte eine Frau ohnmächtig auf ihrem Sitz zusammen. Ihr Mann achtete nicht darauf – er war zu sehr damit beschäftigt, den Dexter Dash anzustarren.
Charles Henry betrachtete den Wagen ungläubig erstaunt und erschrocken. Er sah die langgestreckten Umrisse, die ihn an ein lauerndes Raubtier erinnerten, die klauenförmigen Verzierungen der Stoßstangen und das verchromte Kühlergitter, das scharfe Reißzähne zu fletschen schien. Er sah leuchtende Scheinwerfer, die jede Bewegung unterhalb der Bühne zu verfolgen schienen, und er kreischte plötzlich wie alle übrigen Zuschauer. Aber sein ängstlicher Aufschrei verhallte ungehört; die Freudenschreie und die bewundernden Ausrufe waren lauter.
Er sprang auf, drängte sich durch die hysterische Menge zum nächsten Ausgang und blieb erst stehen, als er kühle Nachtluft atmete. Die Straßen und Gehsteige waren menschenleer, aber auf den umliegenden Parkplätzen warteten Tausende von Autos auf ihre Besitzer.
Charles Henry starrte sie lange an; dann drohte er ihnen mit der Faust und brüllte: »Mörder! Mörder!«
Seine Stimme drang weit durch die Nacht, in der das einzige andere Geräusch das Hupen der Autos auf den Schnellstraßen über ihm war.
»Bringt die Mörder um!« rief er und rannte auf das nächste Auto zu. Er öffnete die Motorhaube, suchte nach Drähten und riß sie heraus. Der Wagen leistete keinen Widerstand, weil sein Elektronengehirn ausgeschaltet war.
»Das nützt nichts, wissen Sie«, sagte eine vertraute Stimme hinter ihm. Als Charles Henry sich umdrehte, sah er Fenwick Enders mit einem großen Paket hinter sich stehen. »Das schadet ihnen kaum. Jede fahrbare Werkstatt behebt diese Kleinigkeit in wenigen Minuten.«
»Haben Sie das Ungeheuer dort drinnen gesehen?« fragte Charles Henry.
»Ja, es ist im Fernsehen vorgestellt worden. Jetzt ist er endlich gekommen, glaube ich.«
»Wer?«
»Der König der Autos. Das ist vielleicht das Signal, auf das sie alle gewartet haben.«
»König der Autos? Was soll das heißen?«
»Dieses Ding ist die komplizierteste Maschine, die je in Detroit von den Fließbändern gekommen ist. Das Elektronengehirn des neuen Wagens übertrifft an Leistungsfähigkeit alle seine Vorgänger. Es kann nicht mehr abgeschaltet werden. Es ist immer wach und stets wachsam. Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Ich glaube, daß wir hier den ersten Vertreter einer neuen Rasse vor uns haben.«
Charles Henry hatte sich allmählich beruhigt, während der andere sprach. »Welche neue Rasse meinen Sie?«
»Eine neue Rasse, die den Menschen ersetzen wird.«
»Aber das ist doch unmöglich! Warum werden derartige Ungetüme überhaupt gebaut? Dafür sind doch Menschen verantwortlich, und Menschen müßten ...«
»Das ist eben der große Irrtum«, erklärte Enders ihm. »Dahinter brauchen durchaus keine Menschen zu stehen. Sie haben offenbar vergessen, daß Detroit inzwischen vollautomatisiert ist. Heutzutage sind Computer für sämtliche Phasen der Autoproduktion verantwortlich.«
»Und Sie vermuten ...«
»Ich bin davon überzeugt«, verbesserte Enders ihn, »daß die Computer diese Ungetüme absichtlich produziert haben und daß sie bald damit auf uns Jagd machen werden.«
Charles Henry griff sich an den Kopf. »Nein! Nein, das kann ich einfach nicht glauben. Das ist ein Alptraum ... ein Alptraum wie bei H. G. Wells!«
»Die Jagd dürfte bald beginnen – ob Sie daran glauben oder nicht«, behauptete Enders.
»Dann müssen wir etwas dagegen unternehmen«, meinte Charles Henry.
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