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Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Titel: Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hoëcker
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das geplant hatten. Tobi macht sich auf den Weg, um die Reflektoren genauer zu mustern, und ich blicke glücklich zu Micha hinüber. Der schreit nur zum wiederholten Male: «Sieh mich nicht an!»
    Ich habe mich vorhin schon darüber gewundert. Jedes Mal, wenn ich ihm ins Gesicht sehe, schließt er die Augen und brüllt los. Mir ist sofort klar, dass er mein elfengleiches Antlitz zum Schutz gegen seine eigene Egozerbröckelung nicht dauernd vor Augen haben möchte. Deshalb bin ich die anderen Male auch großzügig darüber hinweggegangen. Aber dass seine Reaktion an Heftigkeit zunimmt, überrascht mich dann doch.
    Vorsichtig frage ich ihn, was er denn habe, und biete ihm direkt zwei Telefonnummern von Schönheitskliniken an, die ihm aus seiner misslichen Lage helfen könnten.
    Aber er meint nur: «Deine Lampe blendet.»
    «Meine Lampe? Ach, natürlich.» Ich habe logischerweise eineMagLite auf dem Kopf, die übliche Standardausrüstung, wenn man sich nachts durch die Wälder treibt. Jedes Mal, wenn ich Micha ansehe, scheint ihm der Lichtstrahl mitten ins Gesicht. Er kann dann so gut wie nichts mehr erkennen, ich ihn dagegen sehr gut. Ich drehe die Lampe leicht nach unten und löse damit gleich zwei Probleme auf einmal: Er wird nicht mehr geblendet, und ich muss ihn nicht mehr ansehen.
    Tobi löst in der Zwischenzeit die Aufgabe, findet die Zahl, peilt, und wir gelangen so zur nächsten Station. Dort wartet folgende Aufgabe : «Folge ab hier den weißen und gelben Reflektoren, bis du zu einem roten kommst. ACHTUNG: Achte besonders auf die vier gelben Reflektoren! Notiere dir die darauf abgebildeten Karten und die Zahlen. Vielleicht werden sie dir in Kürze helfen   …»
    Los geht es, alles ist einfach zu entdecken, bis wir uns nach etwa fünf Minuten mitten im Reflektoren-Parcours befinden. Eigentlich soll man hier von einem Reflektor den nächsten erkennen können und von dort wieder den nächsten und immer so weiter. Leider sieht man nicht nur den nächsten, sondern auch den übernächsten und manchmal sogar den überübernächsten. Ich rufe Micha zu mir, damit Tobi nicht hören kann, was wir besprechen, und mache ihn darauf aufmerksam. Nach seinem obligatorischen «Sieh mich nicht an» sagt er noch: «Ist doch egal.»
    «Ist doch egal   …» Ich lasse seine Worte langsam in meinem Kopf hin und her schwingen. Ist das mein Micha, der sonst immer so extrem penibel ist? Ist das mein Micha, der sonst auf topografischen Karten schon mal bemängelt, dass die Spitze des Zeichens für einen Tannenwald bereits AUSSERhalb desselben liegt? Ist das mein Micha, den ich während des Cachelegens nur mühsam davon abhalten kann, jeden seiner Schritte mit Phosphorfarbe zu markieren, um den Cachesuchern auch wirklich eine als solche zu bezeichnende Eindeutigkeit zu gewährleisten?
    Nein, das ist er nicht.
    Ich werfe einen Blick auf die Uhr, es ist 01.30   Uhr. So viel ist klar: Hätte er mir recht gegeben, dann hätten wir den Akkuschrauber aus dem Rucksack holen müssen. Wir hätten die Reflektoren lösen und sie, teilweise nur um wenige Millimeter verschoben, wieder anbringen müssen. Wir hätten noch weitere eineinhalb Stunden gebraucht, bis wir überhaupt hätten weitergehen können.
    Ich verstehe ihn und sage beiläufig: «Du hast recht, zum Glück läuft der Cache unter deinem Namen, und du bist dafür verantwortlich.»
    Er zuckt nur die Achseln, und so kommt es dazu, dass wir den Akkuschrauber aus dem Rucksack herausnehmen müssen. Wir lösen die Reflektoren und bringen sie, teilweise nur um wenige Millimeter verschoben, wieder an. Wir brauchen noch weitere eineinhalb Stunden, bis wir überhaupt weitergehen können.
    Aber wir sind zufrieden, und Tobi macht in der Zeit noch ein Sudoku, löst zwei Kreuzworträtsel und entdeckt die Weltformel. Dummerweise lässt er sie liegen, aber der Cache ist uns natürlich wichtiger. Ab dann gibt es keine Probleme mehr, die Aufgaben sind eindeutig gestellt, die Rückstrahler alle gut zu sehen. Wir lassen nach etwa 45   Minuten die letzte Station hinter uns und nähern uns dem Final.
    Wie spannend. Nur noch 100   Meter, bis wir da sind, noch 70, 50, 20.   Tobi steckt das Gerät weg und fängt an zu suchen. Kurz darauf ertönt ein: «Da isser.»
    Er sagt das zwar nur ganz beiläufig, aber in meinen Ohren klingt es wie: «Sehet her, Menschen aller Kontinente, so lieget da der Cache, gewickelt in eine Plastiktüte. Er soll sein ein Zeichen der Überlegenheit, der Vernunft über den

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