Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
klar, dass Tobi uns eintrug, schon weniger, aber ich hatte keine Kraft mehr, um mich zu wehren. Ich ließ es geschehen, abgesehen davon hat er die schönere Handschrift. Er übt wahrscheinlich zu Hause heimlich die vereinfachte Ausgangsschrift. Dann schlenderten wir langsam zu den Rädern und fuhren zum Auto.
Wir blickten zurück. Da war sie. Diese Leere. All die Dinge, auf die wir Jahre, Monate, genau genommen Wochen oder auch nur einen Tag hingearbeitet hatten, waren Vergangenheit. Sie reihten sich ein in die Geschichte der Menschheit. Die Erfindung des Rades, die ersten Schriftzeichen, Demokratie in Griechenland, die Christianisierung Europas, die Aufklärung, die Gründung des Deutschen Reiches und jetzt das Frankenmemory – gelöst von Tobi und mir. Doch wie all die anderen Ereignisse werden sie in der Erinnerung verblassen, die Menschen werden wieder über den Alltag reden, es werden sich neue Ereignisse in den Vordergrund drängen. Keiner wird sich mehr daran erinnern, bis, ja, bis Guido Knopp darüber eine Geschichtsdokumentation drehen wird. 73
Kleiner Nachtrag: Ich hatte zwar mehr Gänge zum Fahren zur Verfügung, dafür hatte Tobi hinterher mehr Zecken am Körper. Man sieht: Gerechtigkeit siegt.
MITTELALTER
Mit das Schönste beim Cachen ist, dass man dabei alles um sich herum vergessen kann. Man taucht ein in eine neue Welt, man lässt sich tragen und geleiten von den Dingen, die einem begegnen. Manchmal ist es der Geist eines alten Gebäudes oder eines größeren Geländes. Oft wird die Geschichte einer Burg in der Cachebeschreibung mitgeliefert, und ich sehe dann förmlich die alten Ritter und Recken vor mir, wie sie sich durch das Burgtor kämpfen, den Innenhof überwinden, die Mauern erklimmen und die Fahne ihres Sieges hissen. Oft auch dann, wenn nur noch ein paar vereinzelte Steine vom endgültigen Schleifen der Burg zeugen.
Aber ich kann mich auch selbst in einen Fantasierausch versetzen. Zum Beispiel, wenn ich alleine cachen gehe. Das mag zwar auf den ersten Blick ziemlich einsam erscheinen, aber wenn man das mal gemacht hat und einige Stunden ohne Begleitung durch den Wald gelaufen ist, die Vögel hat zwitschern hören und merkt, wie viel eigentlich so in der Natur los ist, dann weiß man: Das stimmt!
Deshalb versuche ich immer, mir selbst ein wenig Unterhaltung zu verschaffen. Am schönsten ist es, unterwegs ein Hörspiel oder ein Hörbuch im Ohr zu haben, was außerdem den Vorteil hat, dass man all die Naturgeräusche nicht hören muss. Wer will das schon? Rauschende Blätter, wehender Wind über einer herbstlichen Blumenwiese, plätschernde Bäche, die sachte ans Ufer schlagenden Wellen eines Sees, der Ruf eines Kauzes, die A 3 direkt auf der anderen Seite des Waldweges.
Davon abgesehen war es eine ganz besondere Erfahrung, einen Cache zu suchen, der in der Gegend lag, die genau zu derGeschichte im Ohr passte. So war es bei
Die Nebel von Avalon
und dem «Schluchten-Cache». Der Roman von Marion Zimmer Bradley ist eher schwerer Tobak. Ich habe mal versucht, das Buch zu lesen, und ich bin kläglich gescheitert. Es ist eine Mischung aus Fantasy- und historischem Roman. Immer schön ein Kapitel lang das eine und ein Kapitel lang das andere Thema. Die Unerträglichkeit des Fantasyteils bewog mich irgendwann dazu, nur noch den historischen Teil zu lesen. Leider verwoben sich die Geschichten innerhalb kürzester Zeit so stark ineinander, dass ich beim Lesen zwar ganz schön Strecke gemacht habe, aber dabei selbst auf der Strecke geblieben bin. Es geht die ganze Zeit um Mittelalter, Wälder, Nebel und Auen.
Jetzt, ein paar Jahre später, habe ich mir den Roman als Hörbuch gekauft 74 und einen Moment abgewartet, in dem ich Zeit hatte, in dem ich entspannt war, während dem ich mich nicht wehren konnte. Was lag da näher als ein schöner Cache im herbstlichen Wald? Während mir Anna und Katharina Thalbach schön brav mit ihren sonoren Stimmen die Geschichte von Morgain und ihrem schweren Gang durchs Leben vorlasen, machte ich mich auf den Weg, den Cache zu heben. Der Einstieg war wieder einmal schön einfach: Erst mal parken, und auf der Rückseite eines Schildes entdeckte ich auch gleich die Einstiegskoordinaten. Jetzt nichts wie los in Richtung Schlucht Nummer eins. Gleichzeitig machte sich Morgain auf, um das Leben von Artus zu verändern. Ich erreichte die Schlucht etwa zu dem Zeitpunkt, als Lancelot sich Artus verpflichtet hatte. Wir fingen an zu suchen – ich den nächsten Hinweis,
Weitere Kostenlose Bücher