Auge des Mondes
Baldrian!
»Zum einen lässt Aryandes ganz Per-Bastet nach einem weißen Katzenfell durchkämmen. Als Potenzmittel! Kannst du dir das vorstellen? Dabei ist das noch nicht einmal das Schlimmste, was ich dir zu offenbaren habe.«
»Aryandes soll der Auftraggeber sein?« Senmuts Kinn begann zu zittern. »Sprich weiter!«
»Nur, wenn du mich auch ausreden lässt! Das letzte Mal, als ich über verschwundene Katzen reden wollte, hast du mich mundtot gemacht«, sagte sie. »Heute aber wird dir das nicht gelingen. Was weißt du von diesen ungeheuren nächtlichen Vorgängen in unserer Stadt, Senmut? Und lüg mich nicht an - ich habe Beweise, dass es sie gibt!«
»Welche Beweise?« Er schaute auf die Papyri in ihrer Hand und wollte schon nach ihnen greifen, Mina aber machte einen schnellen Schritt rückwärts.
»Nicht so schnell!«, sagte sie. »Erst möchte ich eine Antwort auf meine Fragen. Wieso riechst du so stark nach Baldrian?«
»Damit die Weiße zurückkommt. Sie liebt diesen Duft mehr als alles andere.«
»Was hast du mit den bärtigen Männern und ihren Käfigen zu schaffen?«, fragte Mina weiter. »Die Wahrheit, Senmut! Ich will endlich die Wahrheit wissen.«
»Nichts«, sagte er. »Gar nichts! Außer einigen Verdachtsmomenten, die ich hege.«
»Genauer!«, forderte sie.
»Dem Tempel fehlen beträchtliche Summen«, sagte Senmut, »die man ihm, wie es aussieht, über längere Zeit heimlich und mit großem Geschick hinterzogen hat. Mehr darf ich dir nicht verraten. Bislang steht noch nicht fest, wofür das Geld verwendet wurde. Es könnte allerdings sein …«
»Wofür? Das kann ich dir sagen!« Sie streckte ihm die erste Rolle entgegen. »Lies!«
Seine Augen flogen über die Zeichen. Mina konnte dabei zusehen, wie nach und nach alles Leben aus seinem Gesicht wich, bis es nur noch einer wächsernen Maske glich.
»Woher hast du das?« Er ließ den Papyrus sinken.
»Zufällig unter Chais Hinterlassenschaft gefunden. Aber das war erst der Anfang. Mach dich auf noch Entsetzlicheres gefasst!« Jetzt erst gab sie ihm die zweite Rolle.
»Der Text bricht mittendrin ab«, sagte er. »Genau an der Stelle, wo beschrieben wird, wie die Feuer …« Gequält sah er sie an. »Wer denkt sich so etwas aus, Mina? Das kann nur kranken Gehirnen entspringen!«
»Mir kommt es wie ein dämonischer Plan vor. Gerade weil keiner glauben kann, was hier geschrieben steht, könnte er sehr wohl aufgehen.«
»Hat Chai denn jemals mit dir darüber gesprochen?«, fragte Senmut.
»Niemals! Und er muss gute Gründe gehabt haben, alles tief unter seinen Schriften zu verbergen. Wahrscheinlich dachte er, dort würden die Rollen unentdeckt bleiben bis zum Ende aller Tage und mich niemals gefährden. Chai hätte alles getan, um mich zu schützen.« Sie blickte den Ersten Sehenden ernst an. »Was soll nun geschehen, Senmut? Diesem Wahnsinn muss ein Ende gemacht werden - und zwar schnell!«
»Das werde ich«, sagte Senmut. »Das werde ich - vorausgesetzt, du überlässt mir diese Beweise.«
»Wieso sollte ich?«, sagte Mina.
»Weil du weißt, dass ich nichts damit zu tun habe. Ich diene der Göttin. Ihr ganz allein!«
Als die beiden anderen Priester vor ihm standen, hatte Senmut sich wieder gefasst. Äußerlich würde nichts von seinem inneren Aufruhr zu sehen sein, dafür sorgte ein jahrelanges geistiges Training, dem er sich seit Jugendtagen freiwillig unterzog. Diese Übungen, die große Disziplin von ihm verlangten, schenkten, richtig angewandt, auch eine große innere Freiheit.
Du bist nicht, was du fühlst. Du kannst deine Gedanken einfach vorbeiziehen lassen .
Im Stillen wiederholte er noch einmal diese beiden Kernsätze, dann wandte er sich Menna und Chonsu zu.
»Es gibt schlechte Nachrichten«, sagte er, »mit denen ich euch als die wichtigsten Sehenden dieses Tempels konfrontieren muss. Wir alle sind betrogen worden, auf perfide Weise, von kalter Hand gründlich geplant.«
Die beiden starrten ihn wortlos an, Menna wie ein wütender Bulle kurz vor dem Ausbruch, Chonsu eher wie ein erschrecktes Kaninchen, das eine Schlange sieht.
»Die Listen«, fuhr Senmut mit ruhiger Stimme fort, »jene Listen, die ich euch zur Überprüfung gegeben habe - sie sind manipuliert. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Einer aus unserer Mitte hat dieses heilige Haus beraubt und entehrt. Einer aus unserer Mitte hat die Große Göttin geschändet.«
»Aber wie kommst du nur darauf?« Chonsus Adamsapfel tanzte wie verrückt an seinem dünnen Hals
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