Auge um Auge (German Edition)
Alex’ Gedichten in seiner Handschrift einscannen und irgendein kitschiges Clip Art einfügen, zwei Einhörner, die ihre Hörner aneinanderlegen, oder so was.
»Ja, klar.« Kim kassiert bei dem Iro, und er geht. »Worum geht’s denn bei deinem Schulprojekt?«
»Ähm – das hat was mit Kunst zu tun.«
»Oh, cool. Und was ist jetzt mit dir und deinem Alex? Fahrt ihr im Golfcart der untergehenden Sonne entgegen?«
Es versetzt mir einen Stich, plötzlich seinen Namen zu hören, aber ich versuche, den Schreck schnell zu überspielen. »Bah!«, mache ich.
Als Alex auf seiner Angeltour war, bin ich fast jeden Tag im Laden gewesen und hab viel von ihm gesprochen, das weiß ich noch. Du liebe Güte, wie schnell sich die Dinge ändern können!
Ich gehe langsam rückwärts Richtung Büro, ich habe nämlich echt keine Zeit, mit Kim zu schwätzen.
»Aber ich fand ihn echt nett. Du brauchst so jemanden, Kat. Und er mochte dich auch, das habe ich gemerkt. Ich glaube, ihr zwei wärt ein richtig gutes Paar.«
Ich rolle mit den Augen. »Ich kann es einfach kaum noch erwarten, bis ich endlich mit der Schule fertig bin und nach Oberlin kann. Ich hab solche Lust auf ein neues Leben, verstehst du? Wenn ich noch ein Jahr hier leben müsste, ich würde mich umbringen, ich schwör’s dir.«
Kims Mund wird eine schmale Linie. »Schon kapiert.«
Jetzt ist sie sauer. Dabei hab ich sie ja gar nicht gemeint. Natürlich nicht. Kim ist so ziemlich der coolste Mensch, den ich kenne. »Kim, ich meinte doch nicht ...«
»Ich weiß nicht, ob du’s je mitgekriegt hast, aber zwischen Paul und mir läuft was. Beziehungsweise lief was, bis seine Frau dahinterkam. Seitdem führt er sich auf wie ein Vollidiot und zickt rum, dass in der Kasse ein Dollar fehlt oder in der Toilette angeblich nie Klopapier ist. Der Mistkerl versucht, mich zu feuern und aus der Wohnung überm Laden rauszuwerfen. Ich weiß es.«
»O verdammt«, sage ich. »Das ist ja echt bescheuert.« Allerdings.
Ich habe Paul nur einmal getroffen. Er ist ziemlich alt. Und eklig.
»Jep«, sagt Kim und lässt das P knallen. »Du weißt ja, wo der Kopierer steht. Aber versuch bitte, kein Chaos anzurichten.«
Ich fühle mich so mies. Aber ich hab’s auch eilig. Und wenn Kim angepisst ist, dann lässt man sie am besten ganz in Ruhe.
Während der PC hochfährt, nehme ich Alex’ Notizbuch aus der Tasche und blättere darin herum. Vielleicht finde ich ja ein Gedicht, das noch lahmer ist als das über die längsten Flure – obwohl ich mir das kaum vorstellen kann, so blöd, wie es war.
Ziemlich weit vorn finde ich eins mit dem Titel Das rote Band. Gott, der Typ hat sie wirklich nicht mehr alle.
Wintersterne fallen,
jeder Stern ein Wunsch.
Wollpullover auf deiner Haut.
Können wir eine ganze Nacht lang
Eskimoküsse tauschen?
Dein rotes Band hält mich fest.
Rotes Band? Was zum Teufel soll das denn sein? Irgendeine Metapher für Menstruation?
O ja, das ist perfekt.
18 LILLIA Samstagabend. Reeve hat die Schlüssel zu einem der unbewohnten Sommerhäuser, die die Firma seines Vaters verwaltet. Wir haben uns alle in ein paar Autos gequetscht, und jetzt sind wir in Middlebury, im Haus von irgendwelchen Leuten. Reeve hat uns zwar gesagt, wir sollten die Schuhe ausziehen, damit wir keine Dreckspuren auf dem Teppich hinterlassen, doch dann hat er sich an der Bar bedient, eine volle Flasche Gin herausgenommen und mit Sprite gemixt, das ebenfalls im Haus stand. Wie rücksichtsvoll von ihm! Er hat allen eingegossen außer sich selbst, denn er muss am Montag beim Footballtraining fit sein. Während der Saison hat er hochmoralische Grundsätze, was das Trinken angeht.
Ich sitze im Wohnzimmer auf dem Boden, die Beine lang ausgestreckt. Ich hab noch immer einen Wahnsinnsmuskelkater vom Cheerleader-Training der letzten Woche. Rennie hat sich eine neue Choreografie für unseren Halbzeitauftritt ausgedacht, und wir mussten ungefähr eine Million Mal proben. Ein paar Jungs aus der Mannschaft lümmeln sich neben mich auf den Boden und diskutieren irgendeine neue Defensivstrategie.
Ich bin schon fast eingeschlafen, als Rennie auf einmal ins Zimmer gestürmt kommt, dicht gefolgt von Reeve. »Wir haben eine tolle Idee«, verkündet sie. Sie hält eine leere Bierflasche hoch und vollführt ein Tänzchen. »Wer will Flaschendrehen spielen?«, brüllt sie in die Runde.
Die Jungs schauen auf.
Sofort bin ich wieder wach. Das ist definitiv nichts für mich, ausgeschlossen. Ich rapple mich
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