Augen für den Fuchs
Rademacher gerade an ihre Jugend und die Badefreuden in den Autobahnteichen. Vielleicht verbrachte sie auch heute noch ihre Freizeit dort. Miersch kannte von den Badeseen nur Geschichten über Autoaufbrüche, Diebstahl und sexuelle Belästigung.
»Ist diese Akte in unserem Bestand?«, fragte er.
»Ich hatte sie vor zwei Wochen noch in der Hand. Nach fünfundzwanzig Jahren misten wir aus und fragen das Staatsarchiv. Ansonsten makulieren wir sie. Können ja nicht alles aufheben, unsere Räume platzen ja so schon.«
»Frau Rademacher, können Sie mir die Akte herauslegen? Ich komme sie holen.«
»Gern, Herr Direktor, ich bringe sie auch in Ihr Büro. Komme ich hier mal raus.«
Miersch wurde sich mit Schrecken klar, dass er nicht einfach ins Archiv spazieren konnte. Er stand auf der Abschussliste der Journaille. Im Präsidium würden sie auf ihn warten. Er wollte weder Hönig noch den Kollegen begegnen. Doch der Fall des Augensammlers hatte sein Interesse geweckt. Er würde Anne Neues berichten, Insiderwissen. So konnte er auf andere Gedanken kommen. Weg von Philip Thede, raus aus dem täglichen Arbeitsstress. Anne, das Gasthaus Zu den alten Eichen und der Augensammler kamen ihm gerade recht. Er würde wieder in Machern Quartier beziehen. Vielleicht konnte er Anne die Unschuld ihres Vaters beweisen. Auch die Rosel würde das freuen. Mein Hajo hat sie nicht getötet!
»Frau Rademacher, können wir uns irgendwo treffen?«, fragte er. »Ich habe Urlaub und möchte nicht unbedingt auf Arbeit gesehen werden.« Miersch konnte sich kaum vorstellen, dass die Archivarin noch nichts vom Skandal gehört hatte. Wenn doch, reagierte sie erstaunlich gelassen.
»Verstehe ich. Ich schlage vor, wir treffen uns im Alfonso, das ist nicht weit vom Präsidium.« Vielleicht bemerkte sie sein Zögern. »Genau gegenüber der LVB. Ich denke, in einer Stunde kann ich dort sein.«
»Danke.«
»Geben Sie nicht auf, Herr Direktor, Sie würden uns fehlen.«
Miersch vernahm keine Ironie in den Worten, und sie erstaunten ihn. Es waren nicht alle gegen ihn. Es gab Sympathisanten.
»Geben Sie bitte nicht auf.«
16
»Das ist unmöglich.«
»Das kann es nicht sein.«
Agatha Schell wusste nicht weiter, sie schien konsterniert und genervt, der Sache nicht gewachsen. Sie kratzte sich am Arm und sah die Kommissare mit großen Augen an. Sie sprach sehr schnell und betonte immer wieder, dass sie ihnen alles gesagt habe, alles. Mehrmals hatte sie sich die Haare unter ihr Kopfband geschoben. Trotzdem sah Beetz kleine Schweißperlen auf der Stirn der Arbeitsberaterin blitzen. Agatha Schells Hände ordneten fahrig die Stapel von Mappen auf ihrem Schreibtisch von links nach rechts und wieder nach links. Ein, zwei Blätter hatte sie in den Papierkorb geworfen. Beetz und Schmitt blieben beim Thema. Die Kommissarin sah, Agatha Schell bedurfte der Unterstützung, allein war sie den Fragen der Polizisten offensichtlich nicht mehr gewachsen.
»Ja, also … Ich bitte unseren Geschäftsführer zum Gespräch dazu. So etwas ist noch nie vorgekommen.«
Agatha Schell drückte hastig und vor einem möglichen polizeilichen Einspruch die Tasten ihres Telefons und atmete hörbar. Sie hatte Angst, oder zumindest war sie mit den Nerven am Ende.
»Ja, Thomas? Ich bin’s. Die Polizei ist hier, und ich kann ihr nicht alle Fragen beantworten. Seit einer halben Stunde sage ich ständig dasselbe … Wir sind wohl einer Betrügerin auf den Leim gegangen. Kannst du bitte mal kommen und die Farce hier beenden? Ich komm mir gerade so vor, als stünde ich unter Verdacht … Vielen Dank.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, herrschte Schweigen. Beetz zählte die Akten im Regal, und Schmitt musterte seine Schuhspitzen. Nach kurzem Klopfen wurde die Tür geöffnet. Ein Anzug, ein Lächeln und eine ausgestreckte Hand, die auf Beetz zuschoss. Die Haut schimmerte braun und wie geölt oder gerade gewaschen. Thomas war kaum dreißig und hatte offenbar schon alle schwierigen Situationen seiner Karriere cool gemeistert, so selbstbewusst wie er auftrat. Beetz schüttelte sich.
»Wir haben bislang jedes Problemchen gelöst.«
Ja, sicher. Das Männchen bemühte sich, sein Aussehen dem Markus Schenkenbergs anzugleichen, was ihm deutlich misslang. Dazu waren seine Haare zu dünn, die Falten zu tief und die Hände zu feucht. Bei der Begrüßung hatte Beetz kurz den Eindruck, dass er ihr ein Küsschen ans Ohr hauchen wollte. Sie wich ihm aus und roch sein Parfüm. Es war ein angenehmer Duft und
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