Augenblick der Ewigkeit - Roman
ihm eine geheime Botschaft verkündet worden.
» Karel! Was schläfst du am hellichten Tag.« Die Stimme des Vaters riß ihn aus seinen Gedanken. » Weißt doch, daß am Schluß nach Tänzen abgerechnet wird!«
Mit dem Geigenbogen gab er den Dreivierteltakt vor, und die Tänzer begannen erneut, sich zu drehen. Sie walzten erst langsam über den Boden in einer Art Drehtanz, der an Tempo und Rasanz rasch zunahm, bis die Paare über das Podium flogen. Karl legte sich mächtig ins Zeug. Er war von seinem Schemel aufgesprungen, weil er das Instrument im Stehen viel besser bearbeiten konnte, und hämmerte auf die Tasten.
» Magst du…«
Er war so konzentriert auf sein Spiel, daß er Franziskas Frage überhörte. Sie stand mit einem Stück Sahnetorte neben dem Klavier und starrte ihn an wie eine Jahrmarktsattraktion. Ihr Staunen hatte etwas Herausforderndes und Demütigendes zugleich.
» …magst du mal beißen?«
Sie hielt ihm ihr Stück Kuchen hin. Karl reagierte mit einem unbeholfenen Lächeln auf das verlockende Angebot, das er nicht annehmen konnte, denn der Tanz hatte noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht. Er mußte höllisch aufpassen, um keinen Patzer zu machen oder aus dem Takt zu geraten.
» Nicht jetzt…«
Doch da hatte sie ihm schon das ganze Kuchenstück in den Mund geschoben. Karl starrte sie entsetzt an. Um nicht zu ersticken, kaute und schluckte er, während er weiterspielen mußte. Er würgte und hustete und spuckte den Rest der Sahnetorte neben das Klavier auf den Boden. Kein Wunder, daß er aus dem Takt geriet, danebenhaute und vom Vater mit dem Violinbogen eins auf den Kopf bekam.
Der Walzer mündete jetzt in einen Galopp, und der ganze Tanzboden bebte. Die Burschen stampften im Rhythmus der Musik, warfen ihre Partnerinnen in die Luft und fingen sie juchzend auf. Das ausgelassene Toben strebte seinem Höhepunkt entgegen. In einem Wirbel von fliegenden Gliedern, drehenden Körpern, von Freudengeschrei und Jubel hörte die Musik plötzlich auf. Als hätte man ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen, fielen sich die Tänzer erschöpft in die Arme und brachen nach einer kurzen Verschnaufpause in Gelächter und Beifallsgeschrei aus. Der Vater, Thomasch und Karl nickten einander nur kurz zu, und augenblicklich setzte die Musik wieder ein, als wäre sie nie unterbrochen worden, und die Tänzer wurden erneut von Tanzwut gepackt.
Diese Momente liebte Karl am meisten, weil er spürte, welche Macht er mit Musik über Menschen haben konnte, wenn er sie zwang, gleichsam nach seiner Pfeife zu tanzen. Er lachte laut und legte sich noch kräftiger ins Zeug.
» Franziska, komm runter da! Du kannst unseren kleinen Musikanten doch nicht mit Kuchen füttern, wenn er spielt!«
» Und wieso nicht, Papa?«
Der elegante Herr im weißen Anzug war seiner Tochter auf das Podium gefolgt. Er nahm sie bei der Hand, um sie von der Tanzkapelle wegzuholen. » Jetzt komm schon, du störst ihn nur.«
» Schau doch nur, Papa, welche Grimassen er dabei schneidet!«
Aber der elegante Herr sah Karl nicht ins Gesicht, er blickte stumm auf die flinken Hände des Virtuosen, als beneidete er ihn um seine Fertigkeit. Da schaute Karl hoch, und ihre Augen begegneten sich. In Karls Blick lag etwas Wildes, atemlos Triumphierendes, während Franziskas Vater den Kopf senkte und seufzte. » Nun komm schon, meine Kleine! Wir müssen gehen. Mama und die andern warten schon auf uns.«
Die Nacht war hereingebrochen. Eilung kam auf und kündigte das Gewitter an. Der Wind löschte die Talglichter auf den Tischen und ließ die Lampions zwischen den Kastanienzweigen schaukeln. Karl und der dicke Thomasch schleppten die Instrumente aus dem Wirtsgarten und brachten sie auf dem Eselskarren in Sicherheit. Die letzten Tänzer waren aufgebrochen. Wie Schatten huschten sie mit ihren Laternen durch die Wiese und über den Steg nach Hause.
Nur ein Halbdutzend angetrunkener Soldaten war im Wirtsgarten zurückgeblieben, blutjunge Ulanen aus der nahen Garnison in Fulnek, die ihren Marschbefehl für den nächsten Morgen in der Tasche hatten. Sie hatten ihre hechtgrauen Felduniformjacken, an denen noch die Eichenblätter von der morgendlichen Parade hafteten, aufgeknöpft, Koppeln und Tschapkas abgelegt, ließen eine Schnapsflasche kreisen und tanzten in Vorfreude auf den beginnenden Feldzug auf dem Tisch. Dazu skandierten sie die neuesten Gassenhauer und Schmählieder.
» Mit Gestank und mit Gelärme,
stapfen stumpfe Russenschwärme,
dringen
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