Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
schmalgesichtigen Häusern und hielt, während er unablässig auf seine Hupe drückte, vor dem weiß gestrichenen Säulenportal eines mehrstöckigen Backsteingebäudes mit einer blumentopfroten Fassade im Edwardian Style.
    Gudrun hielt während der ganzen Taxifahrt die Augen geschlossen und hechelte, wie es ihr die Hebamme bei ihrer ersten Geburt beigebracht hatte. Als eine Krankenschwester sie in einem Rollstuhl durch das Linoleumlabyrinth der Klinik schob, hielt sie noch immer Lassallys Hand. » Nicht wahr, Victor? Er kommt doch nach, wie er’s versprochen hat.«
    » Bestimmt. Er kommt. Mit dem nächsten Taxi.«
    Doch Karl war, wie er schon befürchtet hatte, nicht gekommen, und so wachte Lassally an seiner Stelle auf dem Gang vor der Entbindungsstation, bis eine Krankenschwester herauskam und ihm mit fröhlichem Gesicht verkündete: » Gratuliere. Sie sind der stolze Vater einer Tochter.«
    » Nein, nein, das bin ich nicht.«
    » Sie sind nicht stolz?«
    » …nicht der Vater!«
    Das rosige Gesicht der Krankenschwester nahm einen strengen Ausdruck an. » Also hören Sie mal, erst das Vergnügen, und hinterher will es niemand gewesen sein. Sie sollten sich schämen, Sie Rabenvater!«
    » Wie wär’s, wenn Sie mich mit dem wahren Rabenvater Telefonieren ließen?« Doch in Kingsway Hall hob keiner ab. Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig, als mit einem Taxi zurückzufahren. » Und wenn sie aufwacht, Schwester, sagen Sie ihr, nicht ich– er habe hier die ganze Nacht verbracht.«
    Die Kingsway Hall war leer. Die Techniker hatten alle Mikrofone, Podien, Tonkabel und Instrumente abgebaut und die Kirche wieder zum presbyterianischen Gottesdienst hergerichtet.
    In die Sakristei fand er Karl schlafend mit dem Kopf auf der Partitur. Auf dem Mischpult standen halb ausgetrunkene Kaffeetassen und Aschenbecher voller Kippen. Lassally öffnete das Fenster, und Karl wachte auf. Er streckte sich und gähnte. » Wir haben es geschafft, Victor. Willst du es dir anhören? Ich habe extra für dich einen Probelack schneiden lassen.« Er blinzelte ins Morgenlicht, das durch das Fenster fiel. » Wieviel Uhr ist es eigentlich?«
    » Sieben. Warum bist du denn nicht nachgekommen?«
    » Mitten in der Nacht?«
    » Gudrun hat nach dir verlangt.«
    » Mein Gott, Gudrun!« Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und sprang auf. » Ich muß sofort zu ihr. Was ist es denn geworden?«
    » Was meinst du mit › geworden‹?«
    » …ein Junge oder ein Mädchen?«
    » Wie wär’s, du schautest vielleicht selber nach! Ich habe unten das Taxi warten lassen.«
    Die Morgensonne drang durch die Nebelwolken. Noch aber war sie so blaß, daß Karl in ihre gelbe Scheibe blinzeln konnte, ohne daß es seinen Augen weh tat. Als er sie schloß, sah er ganz deutlich Gudruns Gesicht, das blonde kurzgeschnittene Haar, das ihr in die Stirn fiel, ihre gletscherfarbenen Augen, deren lange Wimpern so eigentümlich mit der Zerbrechlichkeit ihrer Wangen kontrastierten, die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen, wenn sie lachte, und Liebe durchflutete ihn, wie immer, wenn er sich ihr Bildnis vorstellte.
    Er hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen und wurde immer unruhiger, je näher er dem Krankenhaus kam. Er reckte und streckte sich auf dem Rücksitz, als könnte er durch körperliche Bewegungen die quälenden Gedanken an das, was ihn dort erwartete, verscheuchen. Wie fühlte sie sich jetzt, schlief sie vielleicht, und woran dachte sie? Seine irrationale Furcht vor jeder Art von Krankheit mischte sich mit der Angst vor der ungewissen Zukunft des neugeborenen Kindes. Es war ein Gefühl, so düster und heftig, daß es ihm wie eine greifbare Substanz von finsterstem Schwarz vorkam.
    Das Taxi hielt vor dem Säulenportal. Sein Herz fing an, schneller zu schlagen. Als er das Krankenhaus betrat, konnte er Abscheu und Ekel kaum unterdrücken. Allein die Vorstellung, daß dieses Ziegelgebäude gebärende Frauen und kranke Menschen beherbergte, die aufgeschnitten und wieder zugenäht wurden, verliehen dem Ort eine abstoßende Atmosphäre, und der eigentümliche Äthergeruch, der ihn im Innern empfing, enthielt etwas zusätzlich Beunruhigendes.
    Er folgte einer Krankenschwester in eines der oberen Stockwerke. Auf der Entbindungsstation verließ ihn jede Weltläufigkeit, so deplaziert fühlte er sich unter den Wöchnerinnen, die ihm in ihren gestreiften Bademänteln vorkamen wie Bittstellerinnen in einem weiß getünchten Palast. Er mußte sich auf eine Bank

Weitere Kostenlose Bücher