Augenblick der Ewigkeit - Roman
gegen die Beine und peitschte den Regen gegen ihre Brust. Ihre Augen blitzten, und ihr schwefelgelber Hut, den sie mit einer Hand festhalten mußte, damit er nicht davon geweht wurde, schleuderte Reflexe wie ein blankpolierter Helm.
Sich selbst aber sah sie am Bug der Segelyacht stehen, unfähig, sich zu bewegen, mit an den Kopf gelegten Händen und aufgerissenen Augen, die nicht glauben konnten, was sie sahen, den Mund zum Schrei geöffnet.
Doch dann kam, in einem späteren Teil desselben Augenblicks, Dynamik in die Szene. Ein Motor heulte auf. Mit einer Gischtfontäne schoß das weiße VW-Cabrio auf den Platz. Der Wagen schleuderte nach linkes, nach rechts. Joachim steuerte dagegen und trat aufs Gaspedal. Der Wagen machte einen Satz nach vorn. Herzog streckte beide Arme aus und schrie.
In Marias Erinnerung geschah das alles wie in Zeitlupe und lautlos, als hätte jemand den Ton abgedreht. Gedehnte Zeit, in der sie und der Mann hinter dem Steuer Blicke tauschen konnten. Der Lichtstrahl einer Straßenlampe, der ihn streifte, als er zu ihr herüberschaute, ließ sein Profil mit der scharf geschnittenen Nase wie das klassische Bronzebild einer griechischen Gottheit erscheinen. Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht, das zu einer Grimasse gefror.
Als die Stoßstange den Mann erfaßte und ihn in die Luft schleuderte, setzte der Ton wieder ein. Überlaut und durchdringend heulte eine Hupe über den Platz. Das VW-Cabrio tanzte kreiselnd über das glatte Straßenpflaster davon, drehte Pirouetten wie ein wild gewordener Scooter, bevor es in die Rue de la Citadelle einbog und verschwand.
Die Windschutzscheibe war zersprungen, und Herzog kroch durch die Glassplitter über die Straße, zog seine gebrochenen Beine in einer Blutspur hinter sich her, die Füße verdreht wie überflüssige Anhängsel. Als Maria zum Balkon aufblickte, sah sie Gudrun sich vom Geländer abstoßen wie der zufällige Augenzeuge eines Unfalls, der genug gesehen hatte und zurückging an seinen Platz an der Bar.
Maria bettete Karls blutenden Kopf in ihren Schoß, beugte sich über ihn und verschmolz mit ihm zu einem Vesperbild. Ob sie wollte oder nicht: Eine höhere Instanz hatte entschieden. Es war seine Art, den Segen dazu zu geben, daß Karl nunmehr zu ihr gehörte, bis daß der Tod sie scheidet…
Paris – Samstagnachmittag
Joachim stand vor einem Zeitungskiosk und kaufte die Wochenendausgaben sämtlicher deutscher Tageszeitungen, die alle mit dem Bild seines Vaters auf ihren Titelseiten aufgemacht hatten und in langen Kommentaren über seinen Geburtstag und das Satellitenkonzert berichteten. Während er auf den Aufruf der Ersatzmaschine wartete, froh, doch noch einen Flug bekommen zu haben, überflog er die Artikel: » …wie konnte es kommen, daß dieser sensible und geniale Mann so ins Gigantische wuchs und mit seinem Taktstock wie mit einem Zauberstab über die Musikwelt herrscht und sein Publikum verzaubert…« Ein Leitartikler schrieb in der Welt: » …Karl Amadeus Herzog ist in der musikalischen Welt das Maß der Dinge. Er ist nicht nur einer der erfolgreichsten, er ist mit diesem Satellitenkonzert auch einer der folgenreichsten Dirigenten der Musikgeschichte…« Sogar im Wirtschaftsteil der FAZ fand er einen Kommentar: » …Maestro Herzog ist sicher auch ein Großunternehmer und ein Aktivposten der E-Musikindustrie, eine nach Macht und Popularität konkurrenzlose Kultfigur. Sein singulärer Rang, seine Feinnervigkeit und äußerste Klangsensibilität können nur von solchen bestritten werden, die ihn schon immer voller Mißgunst und Neid großmäulig und aus nacktem Opportunismus kritisiert haben…« Und die linke Frankfurter Rundschau kommentierte: » …man kann Karl Amadeus Herzog als einen Inbegriff dirigentischer und musikalischer Allmacht werten, weil er nicht nur in musikalischen Kategorien denkt, sondern stets auch in solchen von Macht und Wirkung. Sein Perfektionierungsdrang ist Suche nach Schönheit. Der Einsatz von Technik ist hier von zweitrangiger Bedeutung, insofern sie nur Vorwand ist, von der eigenen Person stolze Bilddarstellungen für die Nachwelt festzuhalten…«
Sein Vater war in der Tat ein weltberühmter Künstler, während es ihm selber ziemlich gleichgültig war, sich in dieser Art Musikbetrieb durchzusetzen, wenn er nur einigermaßen davon leben konnte, um seine Musik zu komponieren. Jahre war er von zu Hause weg gewesen und fühlte, wie sein Herz in durchdringender Erregung schlug, da er
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