Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
vergessen.
Sie starb am siebenundzwanzigsten Tag des Monats August im Jahre unseres Erlösers 1208, zwei Monate nach dem König.
Als sie vor wenigen Tagen in der Familiengruft im Kloster Lorch, am Fuß der staufischen Stammburg, begraben wurde, war mir, als lege man das alte Byzanz in diese fremde Erde.
Lieber Bruder, ich bin nun wie Du unnütz in einer Welt, die nicht mehr unsere ist.
Gott gebe Dir seinen Segen und beschütze Dein hohes Alter.
Deine Schwester Elena Komnenos
ELISABETH
Von Frauen ist wenig die Rede, wenn wir die Politik des Mittelalters betrachten. Und nur selten verirrt sich eine Frau in die Geschichtsbücher über jene Zeit - denn nur wenige Frauen besaßen so viel politische Macht, dass sie zum »Antrieb der Geschichte« wurden. Fast nur Männer waren die Träger der Ereignisse.
Es gibt aber Frauen, die aus der Schwäche ihrer gesellschaftlichen Position heraus dennoch ihre Zeit und sogar nachfolgende Zeiten geprägt haben. Eine davon ist Elisabeth von Thüringen, die sich nicht um Politik gekümmert hat, sondern um Bereiche, die Machthaber oft nicht interessieren: um die Armen und Kranken, die Hilflosen und Schwachen -
Es geschah dies in einer Zeit, in der die Stellung von Frauen zumindest aufgewertet wurde - in der Minneverehrung an den Höfen der Herren. Frauen waren hier Gegenstand hoher Verehrung, sowohl im wirklichen Leben wie auch in der Dichtkunst. Minne - Liebe - bedeutet im ursprünglichen Sinne auch die Liebe Gottes zu den Menschen, die helfende, erbarmende Liebe. Und mit dieser helfenden, erbarmenden Liebe ist der Name Elisabeths für immer verbunden. Sie ist die erste Heilige, die in Deutschland gelebt hat. Auf der Wartburg, nahe der Stadt Eisenach.
Ein Wunder wollt ihr hören? Und glaubt gar nicht an Wunder? Warum nur wollen gerade immer die von Wundern hören, die nicht an Wunder glauben? Gut, ich erzähle euch von einem Wunder. Sogar von einem Wunder, das ihr glauben könnt.
Elisabeth war die Tochter des Königs Andreas II. von Ungarn und wurde im Jahre 1207 in Sárospatak in Nordungarn geboren. Schon das kleine Kind fiel in die Hände der Politik - des Papstes, des Kaisers, der deutschen Reichsfürsten. Das Mädchen wurde mit dem künftigen Landgrafen von Thüringen verlobt, da war es gerade vier Jahre alt. Man brachte Elisabeth nach Deutschland, auf die Wartburg, damit sie gemeinsam mit ihrem Verlobten erzogen werden konnte, wie es damals an den großen Fürstenhöfen der Brauch war. Ihr Verlobter ist elf.
Wie haben sich die Kinder vertragen, die später einmal Eheleute sein sollten? Wir wissen es nicht - der Verlobte starb schon im Jahre 1216, da war Elisabeth noch ein Kind von neun Jahren. Ein Jahr darauf starb der Landgraf selbst, der ihr Schwiegervater geworden wäre.
Was nun, kleine Königstochter auf der Wartburg?
Wir wissen nicht viel. Sicher ist, Elisabeth muss noch viel Liebe erfahren haben, denn sie hat später viel Liebe gespendet. Und überliefert ist auch, dass das kleine Mädchen am Hofe des Landgrafen aufgefallen ist wegen seiner guten Sitten und großen Frömmigkeit.
Aber diese Eigenschaften machen noch keine wirkliche Stellung an einem Fürstenhof aus. Das Kind, für das kein politisches Interesse mehr bestand - andere Verbindungen erschienen nun einträglicher als die von Thüringen nach Ungarn -, sollte zurückgeschickt werden in seine Heimat.
Inzwischen wuchs sie jedoch heran zu einer Elfjährigen. Und Ludwig IV. wurde Landgraf von Thüringen anstelle seines älteren Bruders, des verstorbenen Verlobten Elisabeths. Auf der Wartburg redete man wieder von ihr, aber kaum mehr wegen ihrer Frömmigkeit und guten Sitten - jetzt war es die große Schönheit, die da aufzublühen begann. Der Landgraf, gerade achtzehn und damit volljährig geworden, verliebte sich in sie, und drei Jahre später, im Jahre 1221, wurde die Hochzeit gefeiert. Elisabeth war jetzt vierzehn.
Es war eine Liebesheirat und es folgte eine glückliche Ehe. Nur die Verwandtschaft des Landgrafen nörgelte an dem ungarischen Königskind herum.
Die junge Landgräfin war - so schien es - sich ihrer Stellung nicht bewusst!
Denn was, zum Henker, hatte eine Landgräfin bei dem Gesindel unten in der Stadt Eisenach zu schaffen? Jenem Gesindel, das vor Dreck starrte, bei dem Elend und Krankheiten herrschten, das nicht einmal satt zu essen hatte, wo die Kinder in Lumpen verkamen - kurz in Stadtvierteln, von denen sich sogar die ärmeren Bürger fern hielten! Hatte sie solche
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