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Augenblicklich ewig

Augenblicklich ewig

Titel: Augenblicklich ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Neuberger
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Sam trat vor die Tür und lehnte sich an die Wand. Sie konnte ihn durch das Fenster sehen. Wieder und wieder fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Er war sichtlich aufgebracht, und sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Schließlich packte sie entschlossen ihre Tasche und gab dem Kellner im Hinausgehen einen Zwanzig-Euro-Schein. Auf das Wechselgeld wartete sie nicht, sondern winkte ab, als der Kellner sein großes, schwarzes Portemonnaie zückte. Sie wollte zu Sam.
    »Sam«, sprach sie ihn vorsichtig an, als sie aus dem Café an seine Seite trat.
    Er blickte auf. Seine Augen wirkten glasig, müde und todtraurig. Er hob die Hand, als wollte er sie berühren, schüttelte dann kaum merklich den Kopf und ließ die Hand wieder sinken. Was war nur los mit ihm?
    »Sam, kann ich irgendetwas für dich tun?«
    »Wann hast du Geburtstag?«, fragte er. Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
    Polly verstand nicht, was hier passierte, aber sie hatte das dringende Bedürfnis, ihm zu helfen. Sie wollte, dass er sich besser fühlte.
    »Am 31. Oktober.« Sie sah, wie seine Miene sich merklich aufhellte.
    »In welchem Jahr bist du geboren?« Seine Stimme klang deutlich fester und kräftiger als noch Minuten zuvor.
    »1980.«
    Sam schloss die Augen, holte tiefe Luft und atmete kräftig aus. Als er die Augen wieder öffnete, war alle Traurigkeit daraus verschwunden. Er sah aus, als sei nichts gewesen. »Chicago? Deine Eltern leben also in Chicago. Erzähl mir davon«, forderte er sie auf.
    Obwohl Polly sich Sams Reaktion nicht erklären konnte und er immer rätselhafter wurde, je länger sie ihn kannte, wollte sie das Treffen nicht beenden. Er faszinierte sie, und die Journalistin in ihr flüsterte ihr zu, er verberge etwas. Also begann sie zu erzählen: »Ich bin in Deutschland geboren, durch den Beruf meines Vaters jedoch im Alter von fünf Jahren nach Chicago gezogen. Dort habe ich gelebt, bis ich vor ein paar Jahren nach Deutschland zurückgekehrt bin.«
    »Warum bist du zurückgekommen?«
    »Ich war immer glücklich in Chicago, aber nach dem College hatte ich plötzlich das Gefühl, ich muss weg. In Köln bin ich gelandet, weil das Studium hier einen guten Ruf hat.« Sie zuckte mit den Schultern. Sie konnte nicht erklären, woher der Drang gekommen war, Chicago zu verlassen, nur dass er damals unbändig gewesen war.
    »Vermisst du das Leben in den USA?« Sam schien aufrichtig interessiert und deshalb fiel es Polly leicht, zu antworten. »In den USA habe ich für lange Zeit Deutschland und meine inzwischen verstorbenen Großeltern vermisst. Jetzt fehlen mir meine Eltern. Wir sehen uns viel zu selten. Aber ich lebe gerne hier. Hier habe ich einen Job, den ich liebe, und ein gutes Netzwerk.«
    Sam sagte nichts, er wartete offensichtlich darauf, dass sie weitersprach, und deshalb erzählte sie ihm, wie sie sich nach dem Studium gegen den Rat vieler Lehrer sofort selbstständig gemacht und sich zunehmend auf Interviews spezialisiert hatte.
    Er hörte aufmerksam zu und sog scheinbar jedes Detail in sich auf.
    Da sie nicht wieder ins Café zurückgingen, holte Sam ihnen beiden einen neuen Kaffee, in einem großen Kaffeebecher, damit sie ihn auf der Straße trinken konnten. Auch wenn es auf einige Passanten vielleicht eigenartig wirken mochte, dass sie und Sam ihren Kaffee nicht im Gastraum tranken, sondern auf der Straße, fühlte Polly sich dort mit dem Werbebecher einer örtlichen Buchhandlung in der Hand rundum wohl. Normalerweise redete sie nur ungern über sich selbst, sie hörte lieber zu. Menschen mit ihrer Lebensgeschichte zu langweilen, war nicht ihre Art. Aber ihr Zuhörer war so interessiert an allem, was sie sagte, dass sie munter weiterplapperte, bis ihr, einen weiteren Kaffee später nichts mehr einfiel, das sie noch hätte über sich berichten können.
    Sam hatte die ganze Zeit über kaum gesprochen. Nur gelegentlich hatte er nach dem einen oder anderen Detail gefragt.
    »Sollen wir gehen?«, fragte sie schließlich. »Lass mich die Becher nur kurz reinbringen.« Sie wollte nach Sams Kaffeetasse greifen, aber er zuckte einmal mehr vor ihr zurück. Polly sah überrascht zu ihm auf. Schnell, als habe er genau das zufällig im gleichen Augenblick vorgehabt, nahm Sam die Tasse in die andere Hand und hielt sie nun mit dem Griff nach vorn in Pollys Richtung.
    »Hier. Ich warte solange«, sagte er und tat, als habe sein Zurückweichen keinerlei Bedeutung.
    Als Polly wieder aus dem Café trat, wartete Sam wie

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