Augenblicklich ewig
Haltung waren anders, aber er sah sie aus denselben dunklen Augen an, die Polly bereits gestern Morgen fasziniert hatten, in denen Polly versank, sich verlor, bis sie an nichts anderes mehr dachte. Sein Blick hielt sie fest, zog sie magisch an. Sam streckte die Hand nach ihr aus, ohne die anderen Männer zu beachten. Als Polly auch ihre Hand nach ihm ausstreckte, kurz bevor ihre Finger sich berührten, war er weg.
Als Polly mitten in der Nacht aufwachte, hielt ihr Traum sie noch minutenlang gefangen. Um sie herum war es dunkel, sie hörte nur die wohlbekannten leisen Geräusche, die von der Straße in ihre Wohnung drangen. Normalerweise erinnerte sie sich kaum je an einen ihrer Träume, aber diesen hatte sie klar vor Augen. Es dauerte lange, bis Polly wieder einschlief.
Am nächsten Morgen erwachte sie nicht ausgeschlafener als am Morgen zuvor. Sie fühlte sich nicht gut und war gleichzeitig nervös. Heute würde sie Sam wiedersehen. Immer noch war sie nachdrücklich beeindruckt von ihrem Traum oder vielmehr von der Wirkung, die Sam im Traum auf sie gehabt hatte. Er hatte sie angezogen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte – tun wollte. Als sei er der Pol, um den sich ihre Welt drehte. Der Mittelpunkt ihres Daseins.
Polly atmete durch und schüttelte Kopf. Sie dachte viel zu viel über diesen Mann nach. So viel, dass er sich offenbar bereits in ihrem Unterbewusstsein verankert hatte. Kurz überlegte sie, ob es besser wäre, das Treffen abzusagen, entschied sich jedoch dagegen. Sie wollte mehr über Sams Arbeit erfahren, und wenn sie ehrlich war, auch über ihn selbst.
Nachdem sie ausführlich geduscht und wie schon am Tag zuvor Jeans und ein T-Shirt angezogen hatte – dieses Mal in schlichtem Weiß zur blauen Hose - vertrieb sie sich die Zeit bis zu ihrem Aufbruch mit Notizen für das Interview mit den Teenies. Richtig konzentrieren konnte sie sich jedoch nicht darauf, und sie erwischte sich ständig dabei, auf die Uhr ihres Telefons zu sehen. Sie war erleichtert, als es endlich Zeit war, sich auf den Weg zu machen.
Als Polly das Café in der Louisenstraße betrat, nahm sie sofort die angenehme Atmosphäre in sich auf. Das Café war einer von Pollys Lieblingsorten in der Stadt. Wenn ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, arbeitete sie gelegentlich dort, an einem kleinen Tisch in der Ecke. So unlogisch es auch war, aber der Trubel um sie herum half ihr, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Der kleine Gastraum war gemütlich. Menschen, die mehr Wert auf ein gestyltes oder geordnetes Ambiente legten als sie, hätten das Sammelsurium aus verschiedenen Stühlen und Tischen vielleicht als chaotisch bezeichnet. Ihr hingegen gefiel, dass nicht ein Stuhl zum anderen passte und häufig nicht einmal Tasse und Untertasse oder Gabel und Messer das gleiche Design hatten.
Polly sah sich kurz um und entdeckte Sam an einem Tisch in der Ecke - an ihrem Tisch. Wie sie am Vortag vermutet hatte, war er heute deutlich lässiger gekleidet. Zu blauen Jeans trug er ein ausgewaschenes dunkles T-Shirt und schwarze Boots. Seine Lederjacke hing über der Stuhllehne. Er hatte Polly noch nicht gesehen, und so näherte sie sich unbemerkt.
»Sam?«
Er blickte auf und Polly erkannte aufrichtige Freude in seinen Augen. Denselben dunklen, anziehenden Augen wie in ihrem Traum. Sie schluckte und hatte plötzlich wieder das Gefühl, ihr Brustkorb habe nicht genug Raum, um sich auszudehnen, als würde er von viel zu enger Kleidung zusammengeschnürt.
»Polly, wie schön.« Er erhob sich. Polly machte einen Schritt auf Sam zu, weil sie dachte, er wolle sie umarmen oder zur Begrüßung auf die Wange küssen. Doch Sam wich ruckartig vor ihr zurück und deutete auf den freien Platz. »Setz dich doch.«
Polly blinzelte irritiert, setzte sich jedoch schnell, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sein Verhalten sie irritierte. Es entstand ein unangenehmer Moment des Schweigens, den Sam nicht zu bemerken schien. Er blickte sie unverwandt an und fühlte sich dabei offenbar keineswegs unwohl. Polly hingegen begann fieberhaft nach einem Gesprächsanfang zu suchen, um ihn nicht weiterhin wortlos anzustarren.
»Ich mag dieses Café«, stellte sie schließlich fest und riss Sam offenbar aus tiefen Gedanken. Er schloss kurz die Augen, und als er sie wieder öffnete, war die Intensität daraus verschwunden.
»Ich wohne nur ein paar Häuser weiter.«
»Tatsächlich?« Polly war überrascht. »Erstaunlich, dass wir uns vorher noch nie
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