Augenblicklich ewig
tatsächlich erlebt. Allerdings war es ihm niemals in seinem Leben so schlecht gegangen, und sein Bett hatte er noch viel weniger mit Polly geteilt. Es musste am Alkohol liegen, der seinen Körper geschwächt hatte, anders konnte er sich diesen Albtraum nicht erklären. Vorsichtig fühlte er in sich hinein. Sein Atem ging inzwischen wieder gleichmäßig und sein Kopf schmerzte, wie er es gewöhnlich nach zu viel Alkohol tat. Alle anderen Körperteile schienen in Ordnung zu sein. Ihm schoss das Bild von Polly durch den Kopf, wie sie neben ihm lag, leichenblass mit Schweißperlen auf ihrem schönen Gesicht und weit aufgerissenen Augen. Sein Atem beschleunigte sich unmittelbar, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Sie hatte im Sterben gelegen, nur wenige Minuten vom sicheren Tod entfernt, genau wie er selbst. Obwohl es nur ein Traum gewesen war, kroch Angst kalt seinen Nacken empor. Seine Schmerzen, seine Sorge um Polly. Die gesamte Situation war so real gewesen, er konnte sie nicht einfach abschütteln ... beinahe wie eine schreckliche Erinnerung. Sams Herz hämmerte bereits wieder gegen seinen Brustkorb. ‚Deine Träume sind meine Erinnerungen.‘ Pollys Worte kamen ihm ins Gedächtnis. Sie konnte unmöglich recht haben. Wieder und wieder überdachte er alle Möglichkeiten. Er glaubte ihr nicht, so viel war sicher. Aber er wusste auch, etwas stimmte ganz und gar nicht, mit ihr oder mit ihm, wahrscheinlich sogar mit ihnen beiden.
‚Es wird nicht aufhören, ehe du die ganze Geschichte kennst. Jetzt wo wir uns gefunden haben, wird es nicht aufhören. Die Träume, die Erinnerungen werden dich verfolgen, egal, was du tust.‘
Was wenn sie die Wahrheit gesagt hatte? Was, wenn er wieder und wieder von ihr träumen würde, bis er ihr die Möglichkeit gegeben hatte, alles zu erklären? Wenn es überhaupt denkbar war, eine Erklärung zu finden. Was, wenn sie die Wahrheit sagte?
Sam sprang mit einem Satz aus dem Bett, wusch sich, so schnell er konnte, und zog die Kleider vom Vortag erneut über, nur um keinen neuen Anzug heraussuchen zu müssen. Die Falten in seinem Hemd störten ihn nicht. Im Flur traf er seinen Onkel, der ebenfalls im Begriff war das Haus zu verlassen. Sam winkte ihm kurz zu und trat hinaus auf die Straße. Er rannte beinahe, während sein Magen rebellierte. Wahrscheinlich hätte er etwas essen sollen. Er konnte nicht denken, wenn er nichts im Magen hatte. Dennoch musste er sich bemühen, bei klarem Verstand – falls er überhaupt noch einen hatte – zu bleiben, wenn er mit Polly sprach.
Er keuchte vor Anstrengung. Vor Pollys Haus angelangt, schaute er das Gebäude hinauf, unschlüssig, was er nun tun sollte. Er wusste nicht, auf welcher Etage sie wohnte, und als Fremder konnte er auch nicht durch das Gebäude irren und an jede Tür klopfen. Ungeduld packte ihn. Was sollte er tun? Entschlossen, sich nicht um die Konventionen zu kümmern, marschierte er schließlich auf die Haustür zu. Gerade als er nach dem Türknauf greifen wollte, wurde die Tür geöffnet und er stolperte nach vorn. Als er sich wieder gefangen hatte, blickte er geradewegs in Pollys blaue Augen. Sie war einen Schritt zurückgewichen und hielt erschrocken die Hände nach oben, statt nach ihm zu greifen, um ihm Halt zu geben, wie jeder andere es getan hätte. Plötzlich erschien ihm die Idee, mit Polly zu sprechen, nicht mehr so gut. Was sollte sie ihm schon sagen, was nicht noch absurder war als alles, was sie bisher behauptet hatte? Ärger grollte in ihm auf. »Polly.« Er stieß ihren Namen regelrecht hervor.
»Sam, ich bin so froh, dass du kommst.« Pollys Stimme war weich, erleichtert und voll aufrichtiger Freude. Prompt kühlte seine Wut sich ab und er hätte beinahe den Grund seines Besuches vergessen, so sehr nahm sie sein Denken ein.
»Wir müssen uns unterhalten.«
»Ich weiß.« Sie schlug die Augen nieder und der Bann war augenblicklich gebrochen. Sie überlegte. Als sie ihn wieder anblickte, sagte sie: »Wir sollten an einen Ort gehen, an dem wir ungestört sind.«
»Ungestört?«
»Allein, Sam, wir sollten allein sein, ohne neugierige Ohren an den Wänden.«
Er verstand. Die Wände zwischen den Wohnungen in den neuen Mietskasernen waren dünn. Den Nachbarn würde nicht entgehen, wenn Polly allein mit einem Fremden in ihrer Wohnung war. Das würde nicht nur Gerede anheizen, sondern auch die Neugierde.
»Mein Onkel arbeitet, in seinem Haus stört uns niemand.«
Polly lächelte leicht und wirkte angespannt. »Sehr
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