Augenblicklich ewig
sich gerade nach seiner Jacke gebückt, die seit seiner Ankunft auf dem Boden lag, schaute nun aber zu ihr auf.
»Ja?«
»Mach das nicht. Rede nicht von Dingen, über die ich nichts weiß. Lass uns Zeit. Erinnerst du dich?«
»Entschuldige. Ich werde versuchen, mich so zu verhalten, wie es jemand tun würde, der dich erst vor ein paar Tagen getroffen hat.«
»Danke.« Sie küsste ihn im Vorbeigehen flüchtig auf die Wange. »Ich muss ins Bad und brauche etwas Faltenfreies zum Anziehen.«
»Mir gefällst du so zerzaust und übernächtigt.«
»Sam. Die Fotos«, mahnte sie ihn.
Er hob unschuldig die Hände. »Schon unterwegs.«
Als Polly allein war, gönnte sie sich eine heiße Dusche. Zu ihrem Erstaunen war sie überhaupt nicht müde. Im Gegenteil, sie sprühte nahezu vor Energie. Die Nacht war viel zu aufregend gewesen. Noch immer kam ihr alles vor wie ein eigentümlicher Traum, aber die verschwimmenden Räume, Sams Geschichte und nicht zuletzt seine Küsse hatten ihre Zweifel ausgeräumt. Woher hätte sie wissen sollen, wie das Kleid aus seiner Erinnerung aussah, wie er sich anfühlte, wie er küsste und wie gut es tat, in seiner Nähe zu sein, noch bevor es tatsächlich passiert war, wenn sie nicht alles schon einmal erlebt hatte? Es klang zu verrückt, um wahr zu sein, und deshalb musste es wahr sein. Sie war wiedergeboren und Sam, die große Liebe ihres letzten Lebens, hatte sie gefunden, um sie auch in diesem Leben zu lieben.
Und das war das eigentliche Problem an der Sache. Würde er sich wirklich in sie verlieben, wie er es versprochen hatte? Und wenn ja, nur deshalb, weil er es schon einmal getan hatte, weil es vorherbestimmt war? Hätte er sich auch in sie verliebt, wenn sie einander einfach so getroffen hätten, in der Stadtbahn oder einem Café, wie zwei ganz normale Menschen ohne Vergangenheit, nur mit einer potentiellen Zukunft? Polly war sich nicht sicher und diese Unsicherheit war es, die ihr zu schaffen machte.
Sie für ihren Teil hatte Sam gemocht, bevor er ihr alles erzählt hatte, bevor er von Schicksal, Vorsehung und Wiedergeburt gesprochen hatte. Sie hatte sich zu ihm hingezogen gefühlt, hatte mehr über ihn wissen wollen, um hinter sein Geheimnis zu kommen. Nun da sie es kannte, war ihr wohlgehütetes Weltbild ins Wanken geraten. Mit einem Mal hatte sie Antworten auf die großen Fragen der Menschheit bekommen. Es gab ein Leben nach dem Tod. Hatten all die Menschen, die von der Liebe ihres Lebens sprachen und glaubten, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben, recht gehabt, während Polly sie belächelt hatte? Oder waren sie und Sam die einzigen, denen es so erging? Hätte sie nicht schon zuvor von solchen Paaren hören müssen, wenn es sie tatsächlich gab? Ein Gedanke nagte jedoch wie kein anderer an ihr. Wenn sie und Sam nicht zufällig immer wieder zueinander fanden, mussten ihrer beider Wege schon von Geburt an vorbestimmt sein. Sie hatten keine andere Wahl, als ihr Leben miteinander zu verbringen. Oder konnten sie sich auch anders entscheiden? Vor lauter Fragen schwirrte Polly der Kopf. Für den Moment beschloss sie, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Denn auch wenn ihr noch ein Leben nach diesem hier bevorstand, musste sie bis dahin ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Sie föhnte ihre Haare kurz über den Kopf, schüttelte sie anschließend, putzte sich die Zähne und cremte sich das Gesicht ein. Das musste an Körperpflege für den heutigen Morgen reichen. Schnell sprang sie in eine saubere Jeans, streifte das Fanshirt des jungen Sängers über, das Lea ihr zum Spaß für das gestrige Interview geschenkt hatte, und zog ihre Sandalen an. Heute passt es, dachte sie und musste lächeln, als der Teeniestar sie von ihrer Brust aus im Spiegel angrinste. Ihre blonden Haare standen in einem wilden Lockengewirr von ihrem Kopf ab. Ihr war das egal. Alles war besser, als sie mit Gummis und Klammern zu bändigen und zum Dank mörderische Kopfschmerzen zu bekommen. Polly schmierte sich schnell einen Toast und lief mit der angebissenen Scheibe zu ihrem Laptop, um ihre Mails zu checken. Sam hatte ihr bereits drei Fotos geschickt. Typisch, dachte sie. Keine Auswahl. Nur ein Bild pro Motiv, und jedes davon war perfekt. So schnell sie konnte, tippte sie das Interview ab, lief schließlich mit dem Laptop unterm Arm zu ihrer Tasche und stopfte ihn hinein. Ihren Schlüssel fand sie direkt daneben. Sie konnte sich nicht entsinnen, wann sie das Haus das letzte Mal verlassen hatte, ohne zuvor den
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