Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
13.02.1995,
Die geheime Krisensitzung war kurzfristig
anberaumt worden. Kanzler und Kanzleramtsminister betraten mit versteinerter
Mine den kleinen Kabinettsaal. Nur die Minister für Wirtschaft, Verteidigung,
der Finanzen und des Äußeren waren mit ihren parlamentarischen und verbeamteten
Staatssekretären einbestellt worden.
Kleine Gruppen hatten sich zusammengefunden, es
wurde diskutiert, parliert oder einfach nur palavert. Keiner kannte den Grund
dieser späten Zusammenkunft.
Polternd wurde die Tür aufgestoßen. Energisch
schritt der Kanzler seinem Stuhl entgegen. Noch bevor er sich setzte, erhob er
seine vor Wut bebende Stimme und den rechten Arm. In seiner Hand hielt er
offensichtlich die Kopie einer Bild-Zeitung.
„In was für einer Bananenrepublik leben wir hier
in Deutschland“, bellte er und schmetterte die Zeitungskopie auf den Tisch des
Sitzungssaales.
„Der Chefredakteur der Blöd-Zeitung hat dem
Kanzleramt fairer Weise einen Vorabdruck der morgigen Ausgabe gefaxt“,
ereiferte sich der Kanzler weiter.
Blöd-Zeitung, war das eine Freudsche
Fehlleistung, ein Lapsus Lingual oder wollte er das Massenblatt einfach nur
bewusst diskreditieren?
Das Letztere, glaubten die meisten Anwesenden,
war wohl am zutreffendsten.
Leise, fast hinterhältig, erkundigte er sich
nach Dr. Beyer: „Wo steckt er, am Kabinettstisch sehe ich ihn nicht“.
„Ich glaube, der ist zum Wintersport in Britisch
Kolumbien, in Kanada, Whistler heißt das Nest“, antwortete der Zweite
Staatssekretär der Finanzen.
„Ich weiß, wo Britisch Kolumbien liegt“,
rüffelte der Kanzler zurück.
Spätestens jetzt hatte jeder Teilnehmer dieser
illustren Runde kapiert, der Kanzler schäumte vor Wut.
Der Kanzleramtsminister ergriff das Wort und
erklärte allen Anwesenden die Sachlage der vermeintlichen oder tatsächlichen
Schmiergeldaffäre, die morgen der ganzen Republik auf den Frühstückstisch
flattern würde und ließ dabei den Vorabdruck der Bild-Zeitung am Tisch kreisen.
„Es ist mir völlig schnuppe, ob Beyer schuldig
oder unschuldig ist“, zischte der Kanzler dazwischen. „Laut Polit-Barometer des
ZDF haben wir wieder 2 Prozentpunkte eingebüßt. Wir können uns einen solchen
Skandal nicht leisten. Die Medien werden dieses Thema auf kleiner Flamme
monatelang weiter kochen. Ich wünsche mir Ruhe im Karton“ und schlug dabei mit
der flachen Hand auf den Tisch. „Die Frage ist nur, wird Beyer freiwillig
demissionieren oder muss er gefeuert werden“, wollte der Kanzler von seinem
Finanzminister wissen. Der antwortete kleinlaut, Beyer habe federführend als
sogenannter Sherpa das kommende Gipfeltreffen organisiert. „Vorerst können wir
auf ihn nicht verzichten“, schob er devot und kleinlaut hinterher.
Schweigen, betroffenes Schweigen machte sich
breit.
Dann bat der Kanzler um Vorschläge zur
Schadensbegrenzung. Von allen Ressortchefs kamen Vorschläge. Die Fürs und Wider
wurden in endlosen Diskussionen abgewogen. Auf einen Konsens oder gar auf eine
Abwehrstrategie konnte man sich nicht einigen. Der Kanzler verdonnerte alle zum
Stillschweigen und beendete die Krisensitzung. Beim eiligen Verlassen des
Raumes raunte er seinem Kanzleramtsminister zu:
„Schaff mir den Beyer heran, ich will seinen
Arsch schnellstens hier in Bonn sehen und verrat mir, was mit Sherpa gemeint
war?“
Um seinen Kanzler nicht zu desavouieren
flüsterte der Chef des Kanzleramts zurück: „Sherpa heißen in unserem Jargon die
fleißigen Geister, die die steilen Felswände eines jeden Gipfeltreffens für die
Regierungschefs zu erklimmen helfen.
In irgend einer Jacketttasche klingelte ein
Handy. Unter genervten und bösen Blicken des Kanzlers wuselte der
Kanzleramtsminister mit beiden Händen in seinen Taschen und nahm das Gespräch
entgegen. Plötzliche Gesichtsblässe des Ministers ließ den Kanzler in seinen
forschen Schritten fragend verharren.
„Ich habe gerade über das Kieler
Innenministerium erfahren, dass Dr. Dr. Beyer in Kiel ermordet aufgefunden
worden ist“, stotterte der Kanzleramtsminister.
Mehr erleichtert als bestürzt nahm der Kanzler
diese Nachricht zur Kenntnis. War doch die Affäre Beyer schneller erledigt, als
er zu hoffen gewagt hatte. Die nun anstehenden, leichten Rückzugsgefechte von
dieser Affäre würden untergeordnete Hierarchien schlagen, solange bis alles im
Sande versickert war. Die große Kunst in der Diplomatie besteht oft nur darin,
Wahrheiten nicht auszusprechen, vieles einfach auszusitzen oder
Weitere Kostenlose Bücher