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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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konnte eine Beta-Kopie sterben, wenn sie doch
    nie gelebt hatte?
    Auf den ersten Blick dachte Gaffney, Clepsydra sei tot oder liege zumindest im Koma. Für einen Moment war er erleichtert und hoffte schon, sich die Belastung eines weiteren Mordes ersparen zu können, doch dann wurde die Wahrheit offenbar. Die Synthetikerin atmete noch; die todesähnliche Starre war nur ihr natürlicher Ruhezustand, wenn sie allein war. Sie wandte ihm bereits, so geschmeidig wie ein Raketenwerfer, der ein Ziel anvisierte, das Gesicht mit den scharfen Zügen zu. Die halb geschlossenen Lider öffneten sich.
    »Ich hätte Sie nicht so schnell zurückerwartet«, sagte sie.
    »Aber vielleicht ist der Zeitpunkt günstig. Ich habe über unser letztes Gespräch nachgedacht...«
    »Gut«, lobte Gaffney.
    Eine längere Pause trat ein, dann sprach sie weiter. »Ich hatte Dreyfus erwartet.«
    »Dreyfus konnte sich nicht freimachen. Er hat ander-
    weitig zu tun.« Gaffney kam in der Zellenmitte zur Ruhe, er hatte seinen Schwung mit einer Präzision berechnet,
    die von langer Erfahrung mit der Schwerelosigkeit zeugte.
    »Aber das ist doch nicht weiter schlimm?«
    Er spürte, wie Clepsydras Blick durch seine Gesichtshaut drang und die Knochen darunter erforschte. Sein Schädel juckte heftig. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so durchschaut gefühlt.
    »Ich kann mir vorstellen, warum Sie gekommen sind«, er-
    klärte sie. »Aber bevor Sie mich töten, will ich Ihnen sagen, dass ich weiß, wer Sie sind.«
    Er war verunsichert. Vielleicht bluffte sie, aber viel-
    leicht auch nicht. Wenn sie wirklich in Panoplias Archive geschaut hatte, könnte sie auch Personalakten gelesen
    haben. Aber das spielte keine Rolle. Sie konnte seinen
    Namen in alle Welt hinausschreien - die Welt würde sie
    nicht hören.
    »Wer hat etwas von Töten gesagt?«, fragte er freundlich.
    »Dreyfus kam unbewaffnet.«
    »Dann ist er ein Narr. Ich würde nie ohne Waffe einen
    Raum betreten, in dem sich ein Synthetiker befindet. Oder wollen Sie leugnen, dass Sie mich binnen eines Lidschlags umbringen könnten?«
    »Ich hatte nicht die Absicht, Sie umzubringen, Präfekt.
    Bisher.«

    Gaffney breitete die Arme aus. »Dann los. Oder noch besser, erzählen Sie mir zuerst, was Sie Dreyfus sagen wollten. Und dann bringen Sie mich um.«
    »Wozu denn? Sie wissen doch schon alles.«
    »Vielleicht nicht wirklich alles.« Gaffney löste seine Hundepeitsche vom Gürtel und schaltete sie ein. »Nichts wäre mir lieber, als Sie lebend von hier fortgehen und zu Ihrem Volk zurückkehren zu lassen. Sandra Voi weiß, Sie haben es verdient. Sandra Voi weiß, dass Ihnen für Ihre Dienste eine Belohnung zusteht. Aber leider kann ich Sie nicht gehen lassen. Denn wenn ich Ihnen die Freiheit schenkte, würden Sie den Prozess gefährden, der jetzt eingeleitet werden muss. Und damit wären Sie indirekt verantwortlich
    für das schreckliche Schicksal, das Ihre Leute träumten, das schreckliche Schicksal, das ich abzuwenden suche.«
    Er drückte einen weiteren Knopf, und die Hundepeitsche
    spulte ihre Schnur aus und ging auf volle Angriffsbe-
    reitschaft. Die Schnur schwankte in der Schwerelosigkeit hin und her wie der Fangarm eines Tintenfischs in ruhiger See.
    »Sie wissen doch gar nicht, was wir in Exordium gesehen haben«, hielt ihm Clepsydra vor.
    »Das brauche ich auch nicht. Das ist Auroras Sache.«
    »Wissen Sie, was Aurora ist, Gaffney?«
    Er hoffte, sie würde sein unterschwelliges Zögern nicht bemerken. Aber wahrscheinlich hoffte er vergebens. Einem Synthetiker entging nicht so leicht etwas. »Ich weiß alles, was ich wissen muss.«
    »Aurora ist kein Mensch.«
    »Wenn wir uns trafen, kam sie mir immer sehr mensch-
    lich vor.«
    »Sie sind Ihr persönlich begegnet?«
    »Genau genommen nicht«, gab er zu.
    »Irgendwann war Aurora tatsächlich einmal ein Mensch.
    Aber das ist lange her. Jetzt ist sie etwas anderes, eine Le-bensform, die es bisher nicht wirklich gab oder die nur für sehr kurze Zeit existierte. An ihr Menschsein erinnert sie sich so, wie Sie sich erinnern, an Ihrem Daumen gelutscht zu haben. Es ist ein Teil von ihr, eine notwendige Entwick-lungsphase, die aber so weit zurückliegt, dass es ihr unfass-bar erscheint, jemals so klein, so verwundbar, so schwach gewesen zu sein. Am ehesten ist sie mit einer Göttin zu vergleichen, und sie wird immer noch stärker.« Clepsydra knipste ein Lächeln an, das ihren Zügen fremd war. »Und einem solchen Wesen würden Sie bedenkenlos

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