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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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konnten.
    »Und deshalb müssen wir nachsehen. Vielleicht finden wir einen Sender, wenn wir erst unten sind. Dann können wir die großen Kanonen zu Hilfe rufen.«
    Thalia fuhr mit dem Finger an ihrem Kragen entlang und
    drückte ihn wieder in Form. Sie sammelte ihre Geräte ein und nahm Haltung an, als die Luftschleuse sich drehte. Rü-
    cken gerade, Kinn nach oben, scharfer Blick. Sie mochte müde sein, sie mochte verbittert sein über die Szenen, die sie vor wenigen Stunden hatte erleben müssen, aber sie war immer noch im Dienst. Die Einheimischen wussten nicht,
    dass sie nur die letzte Station auf einer anstrengenden Route waren, die letzte Hürde, bevor sie schlafen, sich erholen und den widerwilligen Dank ihrer Vorgesetzten entgegen-nehmen konnte, und es würde sie auch nicht kümmern. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie ihrem Terminplan immer noch weit voraus war und dass sie, wenn von jetzt an alles nach Plan ginge, kaum anderthalb Tage nach ihrem Abflug wieder in Panoplia sein würde.
    Das Update im Stundenglas Chevelure-Sambuke war rei-
    bungslos über die Bühne gegangen, doch dann war sie aufgehalten worden, weil die Einheimischen darauf bestanden, dass sie bei ihrem improvisierten Turnier als Schiedsrichter mitwirkte. Es war eine unerfreuliche und strapaziöse Ver-anstaltung gewesen, eine Mischung aus Schönheitswett-
    bewerb und Gladiatorenkampf, bei der alle Mitwirken-
    den radikal biogenetisch manipuliert und reichlich mit Zähnen und Klauen ausgestattet waren. Man hatte ihr ver-
    sichert, dass die schwer verletzten, tief gedemütigten oder gar getöteten Teilnehmer allesamt wieder zusammengeflickt würden, dennoch hatte sie nach dem Ereignis das
    Gefühl gehabt, beschmutzt und fremdbestimmt worden zu
    sein.
    Szlumper Oneill war noch schlimmer gewesen, aber aus
    anderen Gründen. Szlumper Oneill war eine Freiwillige Tyrannei, die aus dem Ruder gelaufen war, und niemand
    konnte etwas dagegen tun.
    In einer Freiwilligen Tyrannei hatten die Bürger keinerlei Rechte: keine Freiheiten, keine Möglichkeit, außer bei den üblichen Abstimmungen ihren Willen kundzutun. Ihr ganzes Leben war der autoritären Kontrolle des gerade an der Macht befindlichen Regimes unterworfen. Die Grundbedürfnisse waren meist gesichert: Die Menschen hatten Nahrung, Wasser und Heizung, ein Minimum an medizinischer
    Betreuung, einen Schlafplatz, sogar für Sex und rudimen-täre Unterhaltung war gesorgt. Dafür hatten sie tagtäglich irgendeiner wenn auch noch so anstrengenden und sinnlo-sen Arbeit nachzugehen. Man beraubte sie ihrer Identität, sie wurden gezwungen, sich einheitlich zu kleiden und

    mussten sich - in den extremsten Fällen - besonders individuelle Merkmale sogar chirurgisch entfernen lassen.
    Einige Menschen - ein kleiner, aber nicht ganz unbedeu-
    tender Teil der Glitzerband-Bürger - waren pervers genug, das Leben in einer Freiwilligen Tyrannei als befreiend zu empfinden, weil es ihnen gestattete, den Teil ihres Bewusstseins, der die üblichen Ängste in Zusammenhang mit Hierarchien und Einflussbereichen zu verarbeiten hatte, einfach auszuschalten. Sie wurden versorgt und bekamen gesagt,
    was sie zu tun hatten. Sie fielen praktisch wieder zurück in die Kindheit, in die Abhängigkeit von Erwachsenen in Gestalt des Staatsapparats.
    Manchmal indes entgleisten diese FTs.
    Niemand wusste genau, wodurch das Abgleiten eines
    wohlwollenden, aber strengen Staats in einen dystopischen Albtraum ausgelöst wurde, aber es war so oft geschehen, dass man es schließlich für ebenso unvermeidlich hielt
    wie den radioaktiven Zerfall eines instabilen Isotops. Das Sozialgefüge schwitzte irgendetwas aus, ein giftiges Sekret, das alles zerfraß. Wer sich dagegen wehrte oder das Habitat verlassen wollte, wurde verhaftet und drakonisch bestraft.
    Panoplia war machtlos, denn es durfte gegen die Regie-
    rung eines Staates nur dann einschreiten, wenn der sei-
    nen Bürgern den Zugang zur Abstraktion und das Abstim-
    mungsrecht verweigerte oder die gesamte Bürgerschaft der Zehntausend den Präfekten mehrheitlich den Auftrag dazu gab.
    Szlumper Oneill war ein anschauliches Beispiel dafür,
    wie schlimm die Lage werden konnte. Vertreter der Internen Regierung hatten Thalia zum Votenprozessor geleitet und sich dabei nach Kräften bemüht, sie von der Bevölkerung abzuschirmen. Dennoch hatte sie genug gesehen, um
    sich ein Bild zu machen. Während sie am Prozessor ihre
    Geräte aufbaute, war ein alter Mann durch eine Absperrung

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