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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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fensterlose Innere war teils mit hochglänzendem Teak-holz vertäfelt, teils mit dunkelbraun genopptem Plüsch aus-geschlagen und mit elfenbeinfarbenen Lackmalereien ver-
    ziert. Der Vogel drehte sich auf den Rücken, schlug seine Klauen in zwei Haken an der Wand, die offenbar zur Decke werden sollte, und bewegte mit mechanischem Rattern den Kopf, bis er Thalia ansah. »Es geht abwärts. Haben Sie bitte die Güte, den Sitz herunterzuklappen und sich anzuschnallen. Die Schwerkraft wird zunehmen.«
    Thalia gehorchte, ließ sich auf dem Klappsitz nieder und nahm den Zylinder mit ihrer Ausrüstung zwischen die Knie.
    Die Kabine fuhr an, und sie spürte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg.
    »Wir fahren jetzt nach unten«, teilte ihr der Vogel mit.
    »Wir haben eine längere Strecke zurückzulegen. Möchten
    Sie unterwegs die Aussicht bewundern?«
    »Wenn es nicht zu viele Umstände macht.«
    Vor Thalia wurde die Wandvertäfelung durchsichtig, und
    sie schaute der Länge nach durch die vollen sechzig Kilometer von Haus Aubusson. Sie hatte den Fahrstuhl an der Innenseite einer der Endkappen des wurstförmigen Habitats bestiegen und fuhr nun von einem Pol der Endkappen-halbkugel zu dem Punkt, wo diese in den Hauptzylinder

    überging. Die Bahn des Fahrstuhls krümmte sich langsam
    von der Vertikalen in die Horizontale, obwohl die Kabine immer im gleichen Winkel blieb. Sie waren schon eine
    ganze Weile gefahren, aber der Boden war immer noch fast vier Kilometer unter ihnen, weit genug entfernt, dass selbst die nächstgelegenen Geländemerkmale klein wie Spiel-zeuge aussahen. Das abschüssige Gelände, das an Thalia
    vorübersauste, bestand vorerst lediglich aus glatter wei-
    ßer Verkleidung und geschmolzenem Regolith von Marcos
    Auge, nur hie und da unterbrochen von einem riesigen verschnörkelten Maschinenkoloss zur Umweltregulierung.
    Mit Ausnahme der Endkappen war die gesamte Innenflä-
    che des Habitats gärtnerisch gestaltet. In sechzig Kilometern Entfernung ließ der Atmosphäreschleier einzelne Elemente und Farben zu einem flimmernden Hellblau verschwimmen, das Meer oder Himmel hätte sein können. In geringerem Abstand - etwa in der Mitte des Zylinders - waren noch die charakteristischen Siedlungsstrukturen zu erkennen, Gitter oder Wirbel, die an Daumenabdrücke in Lehm erinnerten. Große Metropolen gab es hier nicht, aber dafür schmiegten sich Dutzende, ja Hunderte von kleineren Städten, Dörfern oder Weilern in dichtes Grün, wölbten sich um die Gestade künstlicher Meere und Seen oder zogen sich
    an den Ufern von Menschenhand geschaffener Flüsse und
    Bäche entlang. Es gab Berge und Täler, Klippen und Was-
    serfälle. Es gab Nebelschwaden, die in allen Regenbogenfarben schillerten. Wolken hingen so tief, als wären sie auf die sanft wogende Landschaft geklebt. Ganz in der Nähe
    unterschied Thalia nicht nur Ortschaften, sondern einzelne Gebäude, Jachthäfen, Plätze, Parks, Gärten und Freizeitan-lagen. Nur wenige Gebäude waren höher als zwei- bis dreihundert Meter, als scheuten sie sich, in die blauen Weiten vorzustoßen, die den größten Teil des Habitatvolumens
    füllten. Es gab im Innern keine eigene Lichtquelle, aber von der Kabine aus entdeckte Thalia mühelos die Fensterreihen, die sie beim Anflug schon von außen gesehen hatte.
    Aus der Längsperspektive erschienen sie wie schwarze kon-zentrische Ringe. Thalia zählte mehr als ein Dutzend, bevor Blickwinkel und Dunst sie miteinander verschmelzen lie-
    ßen. Haus Aubusson mochte während jedes neunzigminü-
    tigen Umlaufs einmal den Schatten von Yellowstone durchlaufen, aber man konnte davon ausgehen, dass seine Bürger nach dem standardmäßigen Sechsundzwanzigstundenzyklus von Chasm City lebten und arbeiteten. Riesige Spiegel hoch über und unter der Ekliptikebene des Glitzerbandes lenkten das Licht auch dann auf diese Fenster, wenn das Habitat nicht in direkter Sichtverbindung zu Epsilon Eridani stand.
    Thalia spürte, wie der Fahrstuhl langsamer wurde.
    »Wir sind am Ziel«, sagte die Metalleule, und draußen
    verschwanden die Panoramaansichten, und eine Ausstiegs-
    plattform mit Fenster erschien. Die Tür glitt auf. Thalia stieg aus. In der halben Schwerkraft federten ihre Beine wie Har-monikabälge. Auf der anderen Seite der Plattform vor dem Fenster hatte sich ein buntgemischtes Empfangskomitee
    aufgestellt, etwa ein Dutzend Männer und Frauen aller Altersschichten, alle offenbar in Zivilkleidung. Thalia wusste nicht, wen sie ansprechen sollte,

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