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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gebrochen und auf sie zugestürmt. Dann war er vor ihr auf die Knie gefallen und hatte seine arthritisch verkrüppelten Finger in ihre Hosenbeine gekrallt.
    »Präfekt«, hatte er zahnlos gemümmelt. »Sie können uns
    helfen. Bitte tun Sie es, bevor es zu spät ist.«
    »Es tut mir leid«, hatte sie mühsam hervorgestoßen. »Ich wünschte, ich könnte es, aber ...«
    »Helfen Sie uns. Bitte!«
    Dann waren die Ordnungshüter gekommen, hatten mit
    elektrisch geladenen Pfeilen in den Leib des Bittstellers geschossen und den unter den Stromschlägen zuckenden
    Körper weggeschleift. Der Alte hatte nicht mehr sprechen können, aber er hatte Thalia das Gesicht zugewandt und
    seine Bitte lautlos, nur mit den Lippen wiederholt. Bevor sich die Absperrung wieder schloss, hatte Thalia noch gesehen, wie ein Hagel von Fäusten und Stöcken auf seine
    morschen Knochen niederging.
    Sie hatte das Update fertig gestellt. Jetzt wollte sie nicht mehr daran denken, was mit dem alten Mann geschehen
    war. Hoffentlich würde das nächste und letzte Update
    glatter vonstatten gehen, damit sie bald nach Panoplia zu-rückkehren und das leise Gefühl der Mitschuld abstreifen konnte. Sie war froh, dass sie sich Haus Aubusson bis zum Schluss aufgehoben hatte. Das Update hier versprach, das einfachste zu werden und die geringsten Anforderungen an ihre Konzentration zu stellen.
    Das Habitat hatte die Form eines Hohlzylinders mit abge-rundeten Enden, der langsam um seine Längsachse rotierte, um Schwerkraft zu erzeugen. Kurz bevor Thalia auf dem
    Transitflug einnickte, hatte sie von ferne eine hellgrüne Wurst mit vielen Fensterreihen gesehen, die jedes Mal auf-blitzten, wenn sie während der traumhaft langsamen Rotation vom Sonnenlicht erfasst wurden. Am hinteren Ende
    tickte das komplizierte Uhrwerk der derotierten Andock-
    vorrichtungen. Die ganze Konstruktion war so riesig, dass daneben selbst große Raumschiffe zu mikroskopisch kleinen Krümeln wurden. Die Wurst war eine eigene Welt, sie maß sechzig Kilometer von einem Ende zum anderen und
    hatte mehr als acht Kilometer Durchmesser.
    Auch nachdem Thalia den Kutter verlassen und eine
    Reihe von rotierenden Transferschleusen passiert hatte, herrschte noch Schwerelosigkeit. Sie hatte mit einer beleb-ten Wartehalle gerechnet, stattdessen war sie in einem
    Empfangsbereich für Staatsgäste gelandet. Die Wände waren aus rosa Marmor, schwarz-weiße Intarsienfriese zeigten
    Szenen aus der Frühgeschichte der Weltraumkolonisierung: Männer in klobigen Raumanzügen, die aussahen, als wären sie mit Segeltuch überzogen; Landefähren wie weiße Feuerwerkskörper, die man zusammengehängt hatte; Raumsta-
    tionen, die so baufällig wirkten, als wollten sie beim ersten Hauch des Sonnenwinds auseinanderfallen. Lächerlich, dachte Thalia: ganz ohne Zweifel. Aber ohne diese Segel-tuchanzüge und Feuerwerksraketen, ohne diese Raumsta-
    tionen in Form von Baumhäusern könnte Thalia Ng, Un-
    terpräfekt im Außendienst, heute nicht im marmornen
    Empfangsraum eines sechzig Kilometer langen Habitats
    schweben, eines von zehntausend solcher Habitate, die mit einer menschlichen Fracht von insgesamt einhundert Millionen Seelen um eine bewohnte Welt kreisten, auf der sich die seit Menschengedenken prächtigste, glanzvollste Stadt befand, eine Welt, die sich um die Sonne eines ganz und gar fremden Systems bewegte, das wiederum wirtschaftlicher und kultureller Dreh- und Angelpunkt einer menschlichen Zivilisation aus vielen solchen Welten und Sonnen
    war, zusammengehalten durch großartige, elegante Schiffe, die lediglich Jahre brauchten, um die interstellare Nacht zu durchqueren.
    Das war die Zukunft, dachte sie. So fühlte man sich,
    wenn man das Glück hatte, in einer Zeit voller Wunder zu leben.
    Und sie erdreistete sich, müde zu sein?

    Ein Servomat, der aussah wie eine mechanische Eule aus
    gehämmertem Bronzeblech, hing in der Mitte des Raums.
    Nun spreizte das Ding seine Flügel, öffnete knackend den beweglichen Schnabel und piepste mit einer Stimme, die
    sich anhörte, als käme sie aus einem Automaten aus der
    Zeit der Dampfmaschine: »Seien Sie gegrüßt, Unterpräfekt Ng. Ich bin Wundervogel und habe die Ehre, Sie in Haus
    Aubusson willkommen zu heißen. Ein Empfangskomitee
    erwartet Sie auf der Landerampe mit halber Schwerkraft.
    Haben Sie bitte die Güte, mir zu folgen.«
    »Ein Empfangskomitee«, knirschte Thalia. »Wie reizend.«
    Der Bronzevogel führte Thalia in eine Fahrstuhlkabine.
    Das

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