Aurum und Argentum (2) - Die magischen Avatare (German Edition)
eigenartige Angewohnheit, immer irgendwie im Mittelpunkt zu stehen.“ Daraufhin konnten die Jungs freilich nur mit den Augen rollen.
Derweil entfernten sich der Greif und der Kentaur. Seufzend setzte sich Orion auf sein Hinterteil. „Ich glaube, ich habe nun endgültig den Verstand verloren“, raufte sich Leon die Haare, „die Anderen haben nichts gesehen!“
Der Greif machte eine beschwichtigende Geste. „Ich sah es auch.“
Verdutzt guckte Leon ihn an. „Aber wieso …?“
„Du hattest soeben die zweifelhafte Ehre, einem Feuermann zu begegnen. Mit diesen Erscheinungen ist es so, wie mit vielen anderen Gespenstern: nicht jeder kann sie sehen.“ Ein wenig niedergeschlagen guckte der Greif zu Boden. „Als ich noch in der Bibliothek lebte, habe ich viel über sie gelesen, denn ich bin einem von ihnen bereits begegnet, als ich noch sehr jung war. Dieses schauderhafte Erlebnis werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen.“ Nun hob er wieder den Blick und sah Leon ins angstvolle Angesicht. „Keine Bange, die Feuermänner können niemandem etwas anhaben, wie die meisten Geister. Sie tragen in sich jedoch die Botschaft des Todes. Sie erscheinen nur denjenigen, die schon einmal jemanden sterben sahen.“ Nun wurde Leon noch mulmiger zu Mute, doch Orion wollte ihm die Wahrheit nicht verschweigen. „Durch meine Lektüre von Sichtungen habe ich selbst einige interessante Theorien aufgestellt: Raubtiere, die töten, um zu essen, können die Feuermänner nicht sehen, ebenso wie Krieger. Es ist notwendig, eine Beziehung zu demjenigen zu haben, den man sterben sah. Die Sichtung des Feuermanns soll anscheinend an diesen Vorfall erinnern. Interessanterweise gibt es dabei drei Stufen: Wer einen Freund von hinnen gehen sah, dem erscheinen nur die Konturen des Geistes oder nur dessen glühende Augen. Bisweilen auch lediglich ein Feuerball, der in der Luft schwebt. Wer hingegen einen sehr guten Freund oder ein entferntes Familienmitglied sterben sah, der sieht die Kreatur durchscheinend wie einen Nebelschleier in Gestalt eines Schwarzen Mannes, der in Flammen gehüllt ist. Nur wer einen engen Gefährten oder einen nahen Verwanden hinscheiden sah, der kann den Feuermann deutlich in seiner Skelett-Erscheinung erkennen, aus der Flammen herausschlagen.“ Als Leon dies vernahm, wurde er noch blasser. Jede Rippe, das blankliegende Gebiss und das Geisterfeuer – er hatte alles ganz genau erkennen können. Plötzlich loderten die hellen Flammen vor seinem inneren Auge auf, entsetzt wandte er sich ab. „Gütiger Himmel“, Orion deutete diese Reaktion richtig und legte dem Kentaur mitfühlend die Pranke auf die Schulter, „vielleicht ändert es nichts, aber du solltest wissen, dass auch ich dieses Biest ganz deutlich sah.“ Nun schwieg der Greif, denn weitere Worte waren nicht angebracht.
„Was war denn?“, begrüßte Kleopatra die beiden zurück. „Habt ihr ein Geheimnis? Dann sprecht!“ Orion schüttelte nur mit dem weisen Haupt. „Na schön! Das interessiert mich ja sowieso nicht“, sie drehte den Kopf zu Calep und mahnte: „Vergiss ja nicht das Pulver!“
Als Antwort streckte er ihr die Zunge heraus und begann den Antidämonenschutz zu verstreuen. „Das versäume ich garantiert nie wieder!“ Flux grinste von einem Ohr zum anderen, hatte das sein Kumpel nicht irgendwann schon einmal gesagt?
„Ich werde zuerst Wache halten“, entschied Leon, nachdem sie gegessen und er den Verband an seinem Hinterbein gewechselt hatte. Die Bisswunde des Eisengrinds heilte dank Morganas Tinkturen bereits, „ich könnte sowieso nicht schlafen.“ Verständnisvoll nickte Orion, er würde dann die nächste Schicht übernehmen.
„Sehr schön“, fand Kleopatra, bevor sie sich in ihr Zelt zurückzog, „ihr werdet sicher nicht im Dienst für meine Sicherheit einschlafen, im Gegensatz zu einem gewissen verantwortungslosen Individuum.“
„Argh!“, machte Calep nur und zog sich die Decke über den Kopf. „Kannst du sie nicht aus Versehen fressen, Orion?“ Zu seinem Ärger lachte der Greif aber nur erheitert.
„Ich bin auch noch nicht müde“, Flux setzte sich neben seinen Bruder, „kann ich dir ein bisschen Gesellschaft leisten?“ Natürlich durfte er das und da ihm klar war, dass Leon bestimmt nicht erzählen wollte, was vorhin vorgefallen war, versuchte er lieber, ihn auf andere Gedanken zu bringen. „Erinnerst du dich eigentlich noch an den Sommer, als ich mich immer in dem Heuhaufen versteckt und alle Leute
Weitere Kostenlose Bücher