Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
bevor er widerwillig mit den Kindern in den Zoo ging. Doch das war einmal. Väter sind jetzt nicht nur bei der Zeugung, sondern auch bei Geburt und Aufzucht der Nachkommenschaft dabei, und zwar ständig. Begeistert und vor Rührung tränenblind starren sie auf verfärbte Schwangerschaftsteststreifen und laufen anschließend sofort los, um einen Renault Espace oder einen VW Tuareg zu kaufen. Sie sitzen beim Frauenarzt in der ersten Reihe und können gar nicht genug von den grisseligen Ultraschallbildern bekommen, auf denen angeblich Spuren von menschlichem Leben zu erkennen sein sollen. In den Geburtsvorbereitungskursen bringen sie durch lautstarkes Stöhnen die Hebammen zur Verzweiflung. Und natürlich auch durch ihre Fragen, denn die neuen Väter haben sich informiert, sie kennen die gängigsten 55 Gebärmethoden, unter Wasser, über Wasser, in der Luft, im Lift und im Hocken, und besuchen mit den gestressten werdenden Müttern sämtliche Geburtshäuser und Kliniken im Umkreis von zweihundert Kilometern. Sie fordern von den Ärzten polizeiliche Führungszeugnisse und beschäftigen sich wochenlang mit Testberichten für Kindersitze, -wagen und Buggys.
Früher genügte es werdenden Vätern, der Schwangeren hin und wieder ein Glas saure Gurken mitzubringen und dann vor dem Kreißsaal rauchend auf und ab zu gehen. Heute sind die wenigsten Väter in der Lage zu rauchen, aber dafür sind sie direkt in die Kreißsäle vorgedrungen, wo sie das Personal von der Entbindungsarbeit abhalten, weil sie beim Anblick einer Presswehe sofort ohnmächtig werden. Bleiben sie bei Bewusstsein, rauben sie allen den letzten Nerv, weil sie das Geschehen unbedingt aus dem besten Winkel filmen und fotografieren und dabei noch mit der Frau hecheln wollen. In Oldenburg bestand kürzlich ein Vater sogar darauf, die Geburt zu wiederholen, weil er im entscheidenden Moment vor Aufregung den Finger vor die Kameralinse gehalten hatte.
Der Übergang vom Menschen zum Vater erfolgte noch vor wenigen Jahrzehnten zwar überraschend, aber weitgehend ohne Komplikationen. Das lag daran, dass es noch keine Bücher gab, in denen der neue Aggregatszustand erklärt und problematisiert wurde. Man konnte höchstens den eigenen Vater fragen, doch der war ja auch nur irgendwie so da reingerutscht. Zur Zeit werden in den Buchhandlungen ca. vierzig Werke angeboten, die Männer auf die Vaterschaft vorbereiten und sie dabei begleiten wollen. Sie tragen Titel wie »Hilfe, wir sind schwanger«, »Vater werden – und was mir vorher keiner gesagt hat«, »Das Papa-Handbuch«, Papas Schwangerschaftskalender«, »Zen für Papa«, »Das Baby-Buch für neue Väter«, »Mensch Papa« oder »Überleben an der Wickelfront«.
Großartige Selbsterfahrungsberichte sind darunter, in denen die Vaterschaft als »letztes großes Abenteuer« bezeichnet wird. Nachdem sie Nord- und Südpol, die Quellen des Nil und den Mond entdeckt haben, leiden Männer unter Bedeutungs- und Ansehensverlust und stürzen sich auf den letzten unentdeckten Kontinent, der bisher fast ausschließlich von Frauen bewohnt war und wo Männer nun wirklich nichts zu suchen haben. »Wir wollen Schwangerschaft und Geburt aktiv miterleben … und das gemeinsame Leben aktiv mitgestalten«, drohen unverhohlen und schwer aktiv die Autoren des »Papa-Handbuchs«. »Sobald man Ihrer Frau die Schwangerschaft ansieht, sollten Sie ihr helfen, ihren Kleiderschrank neu zu sortieren«, rät, vollkommen ironiefrei, ein gewisser James Douglas Barron in seinem Standardwerk »Sie bekommt ein Baby und ich die Krise«, und er befiehlt außerdem: »Ermutigen Sie Ihre Frau ihre Beckenbodenübungen zu machen« und »Richten Sie das Babyzimmer ein«. Wenn ein Mann erst einmal so weit ist, dann wird es kurz nach der Geburt bei ihm sicher auch zum Milcheinschuss kommen.
Immer mehr Männer nehmen geradezu begeistert Schwangerschaftsurlaub, bleiben zuhause und schicken die Frau ins Büro. Das lässt sich in den Zeiten der globalen Finanzkrise natürlich besonders gut nachvollziehen. Wenn weder Fond noch Depot so richtig wachsen wollen, dann schaut man wenigstens zu, wie das Kind ständig größer wird. Man kann es auch so ausdrücken: Kinder sind ein Wachstumsmarkt. Man vermehrt nicht mehr das Kapital, sondern die eigene DNA.
Es ist wohl kaum verwunderlich, dass in dieser verwirrten Zeit ein Mann namens Thomas Beatie bereits zwei Kinder zur Welt gebracht hat. Dieser Trend wird sich mit Sicherheit fortsetzen, obwohl die meisten schwangeren
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