Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

meines Steuerberaters.
    Ich könnte höchstens meinen Sohn zurückrufen, und das tue ich auch mehrmals im Monat, allerdings nur, weil er meist kein Geld auf seiner Prepaidkarte hat und deshalb nur noch zurückgerufen werden kann.
    Das ganze Leben ist eine einzige Rückrufaktion. Denken wir an den Aal, der durch eine geheimnisvolle Kraft aus den Flüssen der Welt in die Sargasso-See, an den Ort seiner Geburt zurückgerufen wird. Oder die Kröten, die jedes Jahr, wenn es wärmer wird, aus ihren Winterschlafquartieren in die Laichgründe zurückgerufen werden. Mercedes startete eine der teuersten Rückrufaktionen in der Geschichte der Motorisierung und rief Michael Schumacher zurück hinter das Steuer. Das schöne Schwarzgeld wird gerade per CD aus der Schweiz zurückgerufen, und die Bahn ruft ihre Züge so oft zurück, dass viele gar nicht erst losfahren. Oder denken wir an Margot Käßmann, die anscheinend von höherer, wenn nicht sogar allerhöchster Stelle zurückgerufen wurde. Und damit sind wir bereits beim entscheidenden Punkt, beim endgültigen Rückruf. Klemmende Gaspedale und versagende Bremsen bei Toyota sind eine Sache, aber dahinter steckt doch immer wieder nur das Eine: menschliches Versagen. Und dafür ist Gott zuständig. Lange kann es nicht mehr dauern, und die gesamte Menschheit wird wegen Materialermüdung, Überhitzung und allgemeiner Verblödung zurückgerufen. Dann muss sich zeigen, ob es da oben eine himmlische Werkstatt gibt, wo man die Menschheit notdürftig zusammenflickt, oder ob wir sofort stillgelegt, abgewrackt und verschrottet werden.
    Inselmüll
    Es ist Sperrmüll auf Sylt und ich bin überrascht, dass dort das gleiche Zeug wie in meiner verkommenen Heimatstadt an die Straße gestellt wird. Ich hatte, ehrlich gesagt, mit verbeulten Cartier- oder Breitling-Uhren, einmal benutzten Hermes-Handtaschen, verbogenen Ferrari-Lenkrädern und leicht lädierten Baselitz-Originalen gerechnet. Oder wenigstens einer Ehefrau, die wegen Silikonmaterialermüdung entsorgt werden muss. Stattdessen Pressspanmöbelreste und Wäscheständer.

    Der Wäscheständer findet sich übrigens auf 96 Prozent aller Sperrmüllhaufen in diesem Land. Man bekommt nur die Zusage zur Sperrmüllentsorgung, wenn ein Wäscheständer dabei ist. Es werden ununterbrochen Wäscheständer weggeworfen, während Sie diesen Artikel lesen, sind es mindestens 500. Kein Mensch benutzt diese Wäscheständer, es sind Opfergaben an den Sperrmüllgott. Jeder Deutsche hat deshalb immer zwei Wäscheständer, einen zum Wäschetrocknen und einen zum Wegwerfen. Eine Wäscheständerfabrik ist eine Lizenz zum Gelddrucken. Die meisten Wäscheständerfabrikanten haben längst ein Haus auf Sylt und beobachten natürlich mit Wohlgefallen, wie auch die Bewohner der Insel ständig Wäscheständer auf den Sperrmüll werfen.

2010
    Juli
    Leichenräuber
    An Bushaltestellen wird für Gunter von Hagens neue Körperweltenausstellung geworben, und zwar mit der Versicherung »Körperwelten – Das Original«. Anscheinend sind mehrere Ausstellungen mit plastinierten Körpern unterwegs. Billige, schlampig präparierte Stücke aus Rumänien oder Moldawien, exakte aber bleihaltige Kopien aus China. Mir war das nicht klar. Aber jetzt habe ich Angst. Diese Körperwelten-Macher müssen ja einen ungeheuren Bedarf an Körpern haben, mit denen sie ihre Welten füllen wollen. Es ist doch ganz klar, dass nachts gedungene Körperräuber unterwegs sind, um Nachschub zu beschaffen. Man geht abends noch mal kurz mit dem Hund raus und steht am nächsten Morgen schon in einer der unzähligen Körperwelten herum, wo man von den Nachbarn bestaunt wird, die jetzt allerdings Eintritt zahlen müssen, um einen zu sehen. Jedenfalls sollten wir misstrauisch werden, wenn wir zu später Stunde in schlecht beleuchteten Kaschemmen von Unbekannten eingeladen werden, die auf unser Wohl trinken wollen. Denen geht es nicht um unser Wohl, sondern nur um unseren Körper.
    Traumurlaub
    Der Bundespräsident und die First Lady Bettina machten Urlaub auf der »Lieblingsinsel der Deutschen«. Sagt die Bunte . Man wohnte im Anwesen des Unternehmers Maschmeyer, der sich seit Monaten mit Veronika Ferres fotografieren lässt. Christian Wulff und Lady Bettina wurden aber nicht eingeladen, sondern bezahlten aus eigener Tasche 5000 Euro für ein Appartement in der »Traumvilla« auf einer Halbinsel bei Port d’Antratx. Zufällig kenne ich diese Villa, ich war sogar mal drin. Ostern 2002, im Zuge einer