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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ohne daß sie ein feindliches Schiff sahen. Dreimal überflogen sowjetische Kampfflugzeuge den Schiffszug, aber sie griffen nicht an. Sie kamen vom Festland und hatten anscheinend alle Munition verschossen.
    Ununterbrochen tickte in der Funkkabine der Telegraf. Von den großen Häfen, die man anlaufen wollte, um die Flüchtlinge auszuladen, flogen böse Meldungen heran. Kolberg fiel aus … der Russe näherte sich. Stettin konnte man nicht anlaufen, hier stauten sich andere Schiffe und machten sich Kriegsschiffe zum Landkampf bereit. Greifswald bot keine Chance, aber Stralsund war bereit, die Schiffe zu entladen. Auf den Gleisen des Güterbahnhofs standen Hunderte von Waggons.
    »Bis Stralsund kommt kein Russe!« sagte Opa Jochen, als die Nachricht durch das Schiff lief. »Da sind die Engländer schneller, ich sag dir's.«
    Nach drei Wochen Angst und Beten erreichten sie Stralsund. Es war ein heller, kalter, sonniger Tag, als die Schiffe mit brüllenden Sirenen die Stadt und die Rettung begrüßten. Erna Kurowski stand mit ihren Kindern an der Reling und blickte hinüber zu dem Land, das auch Deutschland war, aber so ganz anders als Ostpreußen, so fern und fremd, wie es etwa Afrika oder Amerika für sie gewesen war, wenn man in Adamsverdruß über es sprach.
    »Ich habe Angst, Julius«, sagte sie zu ihrem Schwager Paskuleit. »Wir kommen über diese Menschen wie Heuschrecken, und so werden sie uns auch behandeln.«
    »Nicht einen Schuster!« Paskuleit klopfte mit breitem Grinsen an seinen Rucksack mit den Werkzeugen. »Eine Sohle unterm Fuß hat noch immer einen Mann ernährt. Erna, – wie ist unser Wahlspruch?«
    »Wir lassen uns nicht unterkriegen!« sagten Erna und die Kinder im Chor. Es war ein guter Spruch … aber die Angst von drinnen im Herzen blieb trotzdem.
    Am Mittag wurden sie ausgeladen. Zweitausenddreihundertneunundvierzig Frauen und Kinder, Greise und Verwundete. Und siebzig Soldaten und Offiziere als Begleitkommando, unter ihnen Oberfeldrichter Dr. Bollow. Als er an Land ging, knallten die Hacken der Soldaten am Fallreep. Dr. Bollow hob stolz den Kopf und blickte sich um. In seinen Augen lag der Endsieg …
    Das Auffanglager war eine große Fabrik. In den Werkhallen lagerten die Flüchtlinge auf Stroh, Rote-Kreuz-Helfer verteilten Decken und heiße Suppe aus Bohnen und wäßriger Bouillon, Malzkaffee und Brote mit einem nach Leberwurst schmeckenden Kunstaufstrich. Die Grundlage war Mehl und Grieß. In vier Schreibstuben wurden alle namentlich erfaßt und nach Verwandten im Westen gefragt. Als Erna Kurowski ihre Schwägerin in Krefeld angab, winkte man ab. Krefeld war kein Ziel mehr … wer aus der Hölle kommt, den schickt man nicht in neue Trümmerhaufen. Aber wo war Deutschland noch heil? In der Lüneburger Heide, im Sauerland, im Bayerischen Wald, in der Holsteinischen Schweiz, im Münsterland, im Frankenwald? Noch war man so höflich, zu fragen: Wo wollen Sie hin? Noch konnte man mit Zügen fahren, auch wenn Tausende von britischen und amerikanischen Bombern die Luft über Deutschland beherrschten und ab und zu auch die langen Züge angriffen. Noch war Deutschland ein Schwamm, der sich nicht vollgesogen hatte und die Menschen aus dem deutschen Osten aufnehmen konnte.
    Paskuleit und Pfarrer Heydicke wurden beim Leiter des Auffanglagers, einem Gauleiter in babyschißfarbener Uniform, vorstellig. »Wir bitten darum, daß das Dorf Adamsverdruß – oder was noch davon übrig ist – zusammenbleibt«, sagte Paskuleit. »Es sind nicht mehr viel. Vierzehn Familien nur. Ist das möglich?« Und einer Eingebung folgend, fügte er hinzu (er hatte so etwas einmal von Felix Baum gehört): »Es ist der Wille des Führers, daß Dorfgemeinschaften als Grundzelle des Staates zusammenbleiben.«
    Heydicke schielte zu Paskuleit und verbiß ein Lachen, als er dessen ernstes Gesicht sah. Der Gauamtsleiter war beeindruckt über soviel Nationalismus. »Lübeck ist frei«, sagte er. »Im Lager Lübeck könnte Adamsverdruß – welch ein Name! – noch unterkommen. Vierzehn Familien, das geht. Wollen Sie nach Lübeck?!«
    »Das war immer mein Wunsch.« Paskuleit sagte es fast feierlich. »Lübeck ist gut. Dort halten wir aus, bis der Endsieg uns die ostpreußische Heimat wiederbringt und wir die Russen hinter den Ural zurückjagen!«
    »Heil Hitler!« rief der Gauamtsleiter.
    Nach zehn Minuten hatte Pfarrer Heydicke als Chef der Adamsverdrusser den Marsch- und Einweisungsbefehl nach Lübeck in der Tasche. »Sie sind ein

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