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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß mit dem Sommer 1945 inmitten einer zertrümmerten Welt die Familie Kurowski neu zu leben begann. »Ich mache den Reitstall weiter, ihr« – er zeigte auf Opa Jochen, Felix Baum und Franz Busko – »wandert mal durch die Gegend und seht euch um. In Deutschland liegt jetzt viel herum, mit dem man ganze Konzerne gründen könnte. Man muß nur 'nen Blick dafür haben! Sehen können, Opa.«
    »Das laß ich nicht auf mir sitzen!« Jochen Kurowski ging beleidigt weg. Er bummelte hinüber zu ›Goldener Sommer‹, setzte sich neben den herrlichen Kopf des Hengstes und sagte: »Mein Lieber, die werden 'was erleben! Morgen nehm ich die Umgebung von Lübeck unter die Sohlen. Und du sollst mal 'ne Krippe aus Marmor haben, das versprech ich dir …«
    Drei Wochen florierte der Reitbetrieb vorzüglich. Morgens drei Stunden, nachmittags drei Stunden … ein hartes Pensum für das Pferd, aber ›Goldener Sommer‹ hielt es durch, als ahne er, daß sein schöner Rücken nicht nur elf Personen ernähren mußte, sondern die ganze Hoffnung einer besseren Zukunft trug. Ab der zweiten Woche hatte Paskuleit seine Stammkundschaft: Am Nachmittag ritten die britischen Offiziere. Vormittags die Deutschen. Das waren meistens Kinder, die ihre Eltern so lange anbettelten, bis diese mit geradezu rührenden Angeboten zu Paskuleit kamen. Für zehn Minuten ein Paar Schnürsenkel, gebraucht natürlich. Für drei Runden um die Baracke V das Lederband einer Armbanduhr. Eine Mutter brachte drei Windeln … für eine halbe Stunde Glück ihres jetzt vierjährigen Jungen.
    Paskuleit nahm alles an. »Jedes hat seinen Wert«, sagte er ahnungsvoll. »Die große Zeit des Elends kommt erst noch –«
    Am Samstag, nach drei Wochen, kehrten Opa Jochen und Felix Baum von einem zweitägigen Ausflug zurück. Baum, der sein Motorrad in Stralsund zurücklassen mußte, hatte aus Einzelteilen, die er zusammensuchte, ein Fahrrad zusammengebaut, und auf dem wackelten sie nun über Land, Opa Jochen hinten drauf, die langen Beine angezogen, in normalen Zeiten eine eklatante Verkehrsgefährdung, aber was war in diesen Tagen noch normal und was bedeutete Gefahr, wenn man der Hölle Ostpreußen und den Trecks entronnen war? Diese Überlandfahrten waren genau eingeteilt, Kurowski und Baum lösten sich beim Strampeln ab, sie besuchten alle um Lübeck liegenden Dörfer, tauschten die Dinge, die ›Goldener Sommer‹ sammelte, bei den Bauern gegen Naturalien ein und feilschten um jedes Gramm Butter, jede Kartoffel, jeden Kohlkopf, jede Zuckerrübe. Aber es klappte: Wenn Baum und Opa Jochen abends heimkamen, hatten sie ihre Rucksäcke voll.
    An diesem Abend, nach zwei Tagen, kamen sie leer zurück. Paskuleit sah ihnen entgeistert entgegen.
    »Hat man euch beraubt?« schrie er ihnen zu, noch bevor das Gefährt, das man Fahrrad nannte, aber eigentlich einen eigenen neuen Namen verdiente, bremste.
    »Einen Kurowski beraubt man nicht!« brüllte Opa Jochen vom Gepäckträger. »Komm zum Gaul, Julius! Und halt jetzt die Klappe –«
    Sie trafen sich in der Remise bei ›Goldener Sommer‹ wie Verschwörer, und Opa Jochen benahm sich auch so. »Junge, mir sind die Augen übergegangen«, sagte er. »Felix, habe ich zu dem dämlichen Nazi gesagt, Felix, halt mich fest, ich krieg 'nen Herzschlag …«
    »Es war überwältigend«, sagte Felix, heiser vor Erregung. »Grandios –«
    »Und redet mal vernünftig!« Paskuleit stieß Kurowski an. »Was ist grandios?«
    »Fünftausend Autoreifen …« Opa Jochen schluckte vor Ergriffenheit.
    »Zehntausend …«, sagte Baum. »Mindestens zehntausend! Haufen über Haufen …«
    »Alte und neue. Julius … wir haben ein Reifenlager der ehemaligen Wehrmacht entdeckt. Nur 'n einfacher Stacheldraht drum. Englische Pendelposten. Wir haben zwei Tage im Gras gelegen und alles beobachtet. Wie bei uns: Ablösung alle zwei Stunden … aber da ist eine Mannschaft dabei, die spart sich das Herumlatschen und pennt. Von zwei Uhr nachts bis fünf Uhr morgens ist kein Posten zu sehen.« Baum lehnte sich müde an die Remisenwand. »Stell dir das vor: Da liegen mindestens zehntausend Reifen, und die Engländer wissen nichts damit anzufangen und pendeln nur so um sie herum.«
    »Damit könnten wir 'ne Riesenschuhfabrik aufmachen, Julius.« Jochen Kurowski umarmte den mit gespitzten Ohren zuhörenden Hengst und küßte ihn auf die weichen Nüstern. »Du olles Vieh … ich hab se entdeckt! Und mich wollten se zum Zittergreis machen! Mich, den Jochen Kurowski! Und

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