Aus dem Überall
den Rauch vom Feuer bemerkt, aber es kommen oft Jäger vorbei. Ich hab meinen Schlafsack zu einem großen Felsen im Sumpf gebracht; da werden wohl nicht viele hinkommen.
Seit ich die letzten Zeilen geschrieben habe, bin ich ausgezogen. Jetzt fühle ich mich sicherer. Oh, Barney, wie konnte das nur geschehen?
Es geht so schnell. Vor sechs Monaten war ich noch Dr. Anne Alstein. Jetzt bin ich Witwe und die Mutter eines toten Kindes, und hocke schmutzig und hungrig in Todesangst in einem Sumpf. Komisches Gefühl, daß ich vielleicht die letzte lebende Frau der Welt bin. Auf jeden Fall die letzte in dieser Gegend. Vielleicht stecken noch ein paar im Himalaya oder schleichen durch das zerstörte New York. Wie können wir überleben?
Wir können es nicht.
Und ich kann den Winter hier nicht überleben, Barney. Es wird 40 Grad unter Null geben. Ich müßte ein Feuer anzünden, aber dann würden sie den Rauch sehen. Selbst wenn ich nach Süden gehe – die Wälder hören nach ein paar hundert Meilen auf. Ich sitze fest wie die Ente im Topf. Nein, das ist sinnlos. Vielleicht versucht irgendwo jemand was, aber es kommt für mich zu spät. Und wozu lebe ich überhaupt noch?
Nein. Ich werde es selbst beenden, vielleicht auf dem Fels, wo ich die Sterne sehen kann. Vorher gehe ich noch einmal in die Hütte und lege dir diese Aufzeichnungen hin. Ich will warten, bis ich noch einmal diese wunderschöne Farbe zwischen den Bäumen sehe.
Mach’s gut, liebster Barney!
Ich weiß, was ich als Nachruf in den Stein kratze:
HIER LIEGT
DER ZWEITGEMEINSTE
RIMAT DER ERDE
Ich glaube, niemand wird es lesen, wenn ich nicht den Mut aufbringe, diese Blätter in Barneys Hütte zu legen. Wahrscheinlich werde ich es doch nicht tun. Ich stecke sie in einen Sack; ich habe einen hier. Vielleicht schaut Barney mal vorbei. Ich sitze jetzt auf dem großen Felsen. Bald wird der Mond aufgehen. Dann werde ich es tun. Wartet doch ab, Moskitos! Ihr kriegt mich schon noch.
Ich muß noch aufschreiben, daß ich auch einen Engel gesehen habe. Heute morgen. Er war groß und strahlend, wie der Mann gesagt hat; wie ein geschmückter Weihnachtsbaum ohne Baum. Aber ich wußte, daß er echt war, weil die Frösche nicht mehr quakten und zwei Häher Alarmrufe ausgestoßen haben. Das ist wichtig: Er war wirklich da.
Ich hab ihn beobachtet; ich saß im Schutz des Felsens. Er hat sich kaum bewegt. Er hat sich gebückt und etwas aufgehoben, Blätter oder Zweige, ich konnte es nicht sehen. Dann hat er sie eingesteckt, in eine unsichtbare Probentasche.
Ich muß es noch einmal sagen – er war wirklich da. Barney, wenn du das hier liest, dann sind andere Wesen hier. Und ich glaube, sie haben das alles mit uns gemacht. Sie haben gemacht, daß wir uns selbst umbringen.
Warum? Nun, es wäre ein schöner Planet – wenn die Leute nicht wären. Wie beseitigt man Leute? Bomben, Todesstrahlen – viel zu primitiv. Macht viel zuviel Dreck. Zerstört alles, hinterläßt Krater, Strahlung, macht alles kaputt.
Auf diese Weise gibt’s keinen Dreck. Genau wie das, was wir mit der Goldfliege gemacht haben. Such das schwächste Glied in der Kette und warte ab, bis sie sich selbst erledigt haben. Nur ein paar Knochen bleiben liegen; guter Dünger.
Barney, Liebster, mach’s gut! Ich hab ihn gesehen. Er war da. Aber er war gar kein Engel.
Ich glaube, ich habe einen Grundstücksmakler gesehen.
Originaltitel: »The Screwfly Solution«
Copyright © 1977 by Alice B. Sheldon
(erstmals erschienen in »Analog Science Fiction/Science Fact« Juni 1977)
Copyright © 1989 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH &Co. KG, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski
Geteiltes Leid
(TIME SHARING ANGEL)
Es ist nicht wahr, daß es keine Engel gibt; denn eine junge Frau namens Jolyone Schram sprach mit einem, was zu Ergebnissen führte, die uns alle in Verwunderung versetzten.
Ob das, womit Jolyone sprach, ein Engel im klassischen Sinne war, werden wir natürlich niemals herausfinden; es sei denn, es kehrt zurück, was aber ziemlich unwahrscheinlich ist. Mit ziemlicher Sicherheit handelte es sich um ein mit gewaltigen Kräften ausgestattetes Weltraumwesen, eine Entität der Großen Leere; vielleicht sogar, wie man annehmen könnte, um eine wandernde Empfindsamkeit, einen interstellaren Kommunikanten, der von seinem routinemäßigen Weg abkam. Was immer es auch gewesen sein mag: Es hörte Jolyone. Und damit fing alles an.
In jener Nacht, in
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