Aus dem Überall
bleiben und das tun, was Menschen vorbestimmt ist. Ich werde Kinder großziehen, die die Rasse erhalten, auch wenn ich hier sterben muß. Ihr anderen könnt alle weiterziehen, ihr – ihr armseligen Schatten!«
Ihre Stimme hallte in dem dunklen Raum wider, erschütterte ihn bis ins müde Mark. Er saß still da, als hätte eine tief vergrabene Glocke zu schwingen begonnen.
Sie atmete schwer. Dann bewegte sie sich, und zu seiner Überraschung flackerte zwischen ihren hohlen Händen ein kleines Flämmchen auf. Es verwandelte den Raum in eine Höhle.
»Das ist eine Kerze. Das bin ich. Nun los, mach dich lustig über mich, wie es Mungo getan hat!«
»Ich mache mich nicht lustig«, sagte er entsetzt. »Es ist nur – ich weiß nicht, was ich denken soll. Vielleicht hast du recht. Ich … will irgendwie nicht fort«, meinte er stockend. »Ich liebe diese Erde auch. Aber es geht alles so schnell. Laß mich …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende.
»Erzähl mir von deiner Familie«, sagte sie jetzt ruhiger.
»Nun, sie sammelte Wissen. Sie suchte jeden nur vorstellbaren Zugang zum Wissen. Alte Sprachen, Geschichte, Legenden. Meine Tante schrieb englische Gedichte … Sie lernten die Schichten der Erde, die Namen von Körperzellen und -geweben, Edelsteine, alles. Besonders Sterne. Sie hämmerten uns Sternkarten ins Gedächtnis! Damit wir wissen, wo wir sind, eine Zeitlang wenigstens, verstehst du? Damit wir zumindest die Erdennamen kennen. Mein Vater sagte immer wieder: ›Wenn du den Fluß betrittst, kannst du nicht umkehren und etwas nachschauen. Alles, was du besitzt, sind deine Erinnerungen. Natürlich könntest du andere fragen, aber da wird so viel Neues sein, so viel zu erfahren …‹«
Er verstummte und überlegte zum millionsten Mal: Ist es möglich, daß ich für alle Ewigkeit zu den Sternen hinauswandern werde, inmitten jenes gewaltigen Stroms, der aus dem Wesen, dem Bewußtsein fremder Geschöpfe besteht?
»Wie viele Kinder gab es in deinem Stamm?« fragte Pfirsichdiebin.
»Sechs. Ich war der Jüngste.«
»Die anderen wanderten alle zum Fluß?«
»Ich weiß es nicht. Als ich von meiner Reise durch die Städte zurückkehrte, war die Familie weitergezogen. Vielleicht warten sie aber auch noch eine Weile. Mein Vater hinterließ mir einen Brief. Darin bat er mich, daß ich nachkommen und ihm alles Wissen übermitteln solle, das ich in der Zwischenzeit gesammelt hatte. Es heißt, daß man ganz langsam fortgeht. Wenn ich mich beeile, ist vielleicht noch soviel von seinem Wesen erhalten, daß ich ihm berichten kann, was ich sah.«
»Und was hast du gesehen? Wir besuchten einmal eine Stadt«, meinte Pfirsichdiebin verträumt. »Aber ich war zu jung, ich erinnere mich nur noch an die vielen Menschen.«
»Die Menschen sind jetzt fort. Alles ist verlassen. Aber die Maschinen arbeiten weiter, das Licht wechselt, die Gleitstreifen sind in Bewegung. Ich wollte nicht glauben, daß alle Menschen fort waren, bis ich ins Kontrollzentrum kam. Ah, die wundervollen Maschinen, die sie dort hatten!« Er seufzte. »So schön, so komplex. Großartig, was die Menschen alles zuwege brachten.« Er seufzte noch einmal bei der Erinnerung an die herrliche Technik, an die im Stich gelassenen Menschenwerke, die nun allmählich verrotteten. »Eines war seltsam. Im alten Chio, der größten Stadt, die ich sah, flimmerte über sämtliche Bildschirme der gleiche Film.«
»Was für einer?«
»Da war ein Mädchen, ein junges Mädchen mit langem Haar, das ihr fast bis an die Füße reichte. Ich habe noch nie solches Haar gesehen. Sie breitete es mit gesenktem Kopf auf eine Art Tisch. Aber alles ganz lautlos, ich glaube, der Ton war ausgefallen. Dann goß sie langsam eine Flüssigkeit darüber. Und dann zündete sie ihr Haar an – sie zündete sich selbst an. Es flammte und loderte, und sie verbrannte. Ich glaube, es war echt.« Ein Schauer durchlief ihn. »Ich konnte ihr in den aufgerissenen Mund sehen. Die Zunge wurde ganz schwarz und verschrumpelt. Es war entsetzlich. Und der Film lief überall ab, immer wieder, als sei etwas verklemmt.«
Sie stieß ein angeekeltes Schnauben aus. »Und das willst du deinem Vater erzählen, seinem Geist oder was immer von ihm übrig ist?«
»Ja. Es sind alles neue Daten, die wichtig sein könnten.«
»Tatsächlich?« entgegnete sie verächtlich. Dann lachte sie ihn an. »Und wie steht es mit mir? Bin ich auch eine wichtige neue Erkenntnis? Eine Frau, die nicht zum Fluß geht? Eine Frau, die
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