Aus dem Überall
sah, wie sie der harten Schale mit beängstigender Kraft zu Leibe rückte. Mit einem Stein trieb sie schließlich die Messerspitze in das Holz und sprengte es.
»Hier!« Sie reichte ihm die Frucht. »Trink aus der Öffnung da!« Jakko hörte im Innern eine Flüssigkeit schwappen. Er hob die Nuß wie ein Gefäß und trank. Das Zeug schmeckte nach nichts Besonderem, ein wenig nach Haaren und nach Sand, aber auch klar und scharf wie der Tag. Pfirsichdiebin hieb nun mit dem Messer und dem Stein systematisch eine Kerbe rund um die Nuß. Plötzlich zerfiel die Schale in zwei Hälften und enthüllte eine Schicht leuchtendweißes Fruchtfleisch. Das Mädchen stemmte ein Stück davon heraus.
»Iß das! Es enthält eine Menge Proteine.«
Das Fleisch schmeckte süß und stark nach organischen Substanzen.
Plötzlich erinnerte er sich. »Das ist eine Kokosnuß!« rief er.
»Genau. Ich werde also auf dem Rückweg bestimmt keinen Hunger leiden.«
Er wollte nicht schon wieder Streit anfangen, und so stand er stumm auf. Pfirsichdiebin schob ihr Messer in den Gürtel und folgte ihm, ein Stück Kokosnuß in der Hand. Lange Zeit wanderten sie schweigend weiter und ließen sich vom Rhythmus ihrer Schritte tragen. Einmal, als eine Eidechse über den Weg lief, wandte sich Pfirsichdiebin an den Mondhund, der ihr am nächsten war: »Du mußt endlich lernen, diese Dinger zu fangen und zu fressen, Tycho!« Die Hunde betrachteten skeptisch die Eidechse, sagten aber nichts. Jakko unterdrückte sein Entsetzen.
Inzwischen wanderte die Sonne zu ihrer Rechten langsam nach Westen. Ein Schwarm großer orangeroter Vögel mit blauen Schnäbeln stob aus einem Baum am Straßenrand, wo sie allem Anschein nach ein Nest bauten. Wolkenschatten flogen über die Welt. Sie spiegelten sich als blaue und kupferne Reflexe im Meer. Jakko spürte den Angriff auf seine Sinne fast wie einen körperlichen Schmerz; einen Sonnenstrahl verwandelte die Brandungslinie in eine Brillantenkette, und das durchscheinende Grün der nahen Untiefen zog seine Blicke an wie mit Zauberkraft. Jedes Bild pulsierte von Licht, schien eine lautlose Botschaft auszusenden.
Er folgte wie in Trance der Straße, die seit geraumer Zeit völlig glatt und eben war. Plötzlich stieß Pfirsichdiebin einen Schrei aus.
»Mein Fahrrad! Da ist mein Fahrrad!« Sie rannte los. Aus einer Spalte, die sich quer über den Weg zog, sah Jakko Metall blitzen. Als er Pfirsichdiebin erreichte, stand sie neben der Mauer am Straßenrand und untersuchte eine Maschine.
»Das Vorderrad – völlig verbogen! Er ist sicher zu schnell gefahren und gestürzt. Oh, dieser Ferrocil! Aber ich repariere es, in der Station habe ich Werkzeug. Ich nehme es auf dem Rückweg mit.«
Während sie um ihr Fahrrad trauerte, warf Jakko einen Blick über die niedrige Mauereinfassung. Steilklippen führten in die Tiefe, und die Sonne streifte gerade noch einen felsigen Küstensaum. Etwas hob sich gegen die Steine ab – ein Gewirr heller Stöcke, Stofffetzen, etwas Rundes, Weißes. Jakko merkte, wie sich sein Magen verkrampfte, und starrte doch hinunter, entdeckte Augenhöhlen in dem runden Ding, einen U-förmigen Mund, Haarsträhnen, die im Wind wehten. Er hatte noch nie einen Toten gesehen, keiner hatte das, aber es gab Abbildungen von Menschenknochen. Ihm dämmerte die Wahrheit – da unten lagen die Überreste von Ferrocil. Er war vermutlich über die Mauer geschleudert worden, als er mit dem Rad in die Spalte fuhr. Der Tod hatte ihn eingeholt, ehe er den Fluß erreichte. Sein Wissen, seine Gedanken und Gefühle – all das war fort, verloren für immer.
Jakko wußte kaum, was er tat. Er nahm Pfirsichdiebin an den Schultern und sagte hart: »Los, komm weg von hier! Komm schon!« Als sie widerstrebte, packte er sie am Arm und zerrte sie weg von der Stelle, wo sie vielleicht in die Tiefe schauen konnte. Ihr Fleisch schien vor Hitze zu brennen, zu vibrieren. Die ganze Welt explodierte in Farben und Gerüchen. Bilder des toten Ferrocil vermischten sich mit dem durchdringenden Duft irgendwelcher Blumen am Straßenrand. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er blieb mit einem Ruck stehen.
»Hör zu! Bist du sicher, daß diese Pillen keine Drogen enthalten? Ich habe erst zwei davon geschluckt, aber nichts ist mehr normal!«
»Drei«, entgegnete Pfirsichdiebin geistesabwesend. Sie nahm seine Hand und preßte sie gegen ihren Rücken. »Mach das noch einmal! Fahr mit der Hand hier entlang!«
Verwirrt tat er, was sie verlangte. Als seine
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