Aus dem Überall
noch stärker als gewöhnlich, schnürte Trauer Jakko die Kehle zu. Wenn er bedachte, daß dieses ganze herrliche System dem Untergang geweiht war … Er hegte den Traum, daß er selbst diese Dinge irgendwie aufrechterhalten könnte, aber die Erinnerung an den armseligen Stofffetzen, den Pfirsichdiebin gewebt hatte, drängte sich höhnisch in seine Visionen. Alles war ein Irrtum, ein furchtbarer Irrtum. Er wollte nur fort, zurück in die Rationalität und den Frieden. Wenn sie ihn unter Drogen gesetzt hatte, trug er keine Verantwortung für sein Versprechen. Aber die Trauer verstärkte sich, ließ ihn nicht los.
Als sie die Pillendose hervorkramte und ihm hinschob, schüttelte er energisch den Kopf. »Nein!«
»Aber du hast versprochen …«
»Nein! Ich hasse das, was das Zeug bewirkt!«
Sie starrte ihn schweigend an und schluckte trotzig ihre Kapsel. »Vieleicht gibt es noch mehr Männer am Fluß«, sagte sie nach einer Weile. »Einen haben wir immerhin schon gesehen.«
Er zuckte die Achseln und tat, als schliefe er.
Eben, als er tatsächlich einzunicken begann, ertönte das Warnsignal, und der Wagen bremste bis zum Stillstand ab.
»Sieh mal, da vorne – die Schiene ist verschwunden! Was soll das?«
»Ein Erdrutsch. Vermutlich eine Lawine aus den Bergen.«
Sie standen da, umgeben von anderen leeren Wagen, die ihre vorgeschriebene Zeit abwarteten, ehe sie wieder umkehrten. Hinter dem letzten Fahrzeug endete der Weg an einem ausgedehnten Geröllfeld. Jakko bemerkte einen schmalen Trampelpfad über die Trümmer.
»Dann gehen wir eben zu Fuß weiter! Komm, wir holen die Rucksäcke und etwas Proviant und Wasser!«
Während sie den Speisen-Synthesizer bedienten, schaute Pfirsichdiebin nachdenklich aus dem Fenster. Und als Jakko fertig war, speicherte sie einen neuen Code ein; ein paar bräunliche Klumpen rollten in ihre Hand.
»Was ist das?«
»Du wirst gleich sehen.« Sie blinzelte ihn an.
Kaum hatte sie die ersten Schritte über die Felsbrocken gewagt, da tauchte eine Gruppe von Pferden vor ihnen auf. Die beiden traten höflich zur Seite, um die Tiere durchzulassen. Der Anführer der Herde war ein grobknochiger Hengst mit fahlbraunem Fell. Als er Pfirsichdiebin erreichte, blieb er stehen und warf den mächtigen Kopf zurück.
»Zuk-ker! Zuk-ker!« mauschelte er. Darauf drängten auch die übrigen Tiere zusammen und wiederholten mehr oder weniger gut verständlich: »Zuk-ker! Zuk-ker!«
»Davon verstehe ich etwas!« flüsterte Pfirsichdiebin Jakko zu. Sie wandte sich an den fahlen Hengst: »Bringt uns über diese Felsen, dann bekommt ihr Zucker von uns!«
»Zuk-ker!« beharrte der Gaul. Er hatte einen hinterhältigen Blick.
»Ja, Zucker. Aber erst, wenn ihr uns zu den Schienen auf der anderen Seite des Trümmerfelds gebracht habt!«
Der Hengst rollte wütend die Augen, aber er beriet sich mit seiner Herde. Es entstand eine Bewegung in der Gruppe. Zwei Stuten wurden nach vorn gedrängt.
»Aber man benötigt einen Sattel und Zügel, um auf einem Pferderücken zu reiten«, widersprach Jakko.
»Es geht auch so. Komm!« Pfirsichdiebin schwang sich gewandt auf den Rücken der kleineren Stute.
Jakko kletterte zögernd auf die breite, runde Kruppe des zweiten Tieres. Zu seinem Entsetzen warf es den Kopf hoch und wieherte schrill.
»Du bekommst auch Zucker!« versicherte Pfirsichdiebin. Die Stute beruhigte sich, und die Tiere liefen in einer langgezogenen Reihe über den schmalen Felspfad. Jakko mußte zugeben, daß sie schneller vom Fleck kamen als zu Fuß, obwohl er ständig gegen das Herunterrutschen ankämpfte.
»Halt dich an der Mähne fest – in den Haarbüscheln da vorne!« rief ihm Pfirsichdiebin lachend zu. »Wie du siehst, kenne ich mich in manchen Dingen auch ganz gut aus!«
Als der Pfad etwas breiter wurde, trabte der fahle Hengst neben Pfirsichdiebin.
»Ich denke nach«, erklärte er wichtigtuerisch.
»Ja – und?«
»Ich denke, ich werfe dich ab und fresse Zucker jetzt.«
»Das denken alle Pferde«, erwiderte Pfirsichdiebin. »Bringt aber nichts.«
Der Hengst fiel zurück, und Jakko hörte, wie er sich mit einem alten Rotschimmel in der Pferdesprache beriet. Dann schob er sich wieder an Pfirsichdiebin heran und meinte: »Warum bringt nichts, wenn ich dich abwerfe?«
»Aus zwei Gründen«, setzte ihm Pfirsichdiebin auseinander. »Erstens: Wenn du mich abwirfst, bekommst du nie mehr Zucker. Alle Menschen werden erfahren, daß du schlecht bist, und sie werden nicht mehr mit dir und
Weitere Kostenlose Bücher