Aus der Hölle zurück
Gefangenschaft und der Krieg schließlich doch enden würden.
Ich fegte weiterhin die Lagerstraßen. Im Winter gab es mehr zu tun, weil der Schnee geräumt werden mußte. Auch die Zahl der Feger wurde vergrößert, und dadurch konnte man die Arbeit auf den ganzen Tag verteilen. Eines Abends sagte mir Zbyszek nach der Rückkehr von der Arbeit, daß ich am nächsten Tag morgens ab sechs Uhr vor den Küchenfenstern aufpassen solle. Er hatte vor, dort im Lebensmittellager organisierte Verpflegung hinauszuwerfen. »Morgens ist es am besten. Dann paßt der Küchenchef nicht so auf«, teilte er mir mit. Ich erklärte mich einverstanden, und das um so eher, als Lagerschutzmann Max auf die Lagerstraßen in der Nähe aufpassen sollte. Am nächsten Tag stand ich früher auf, um so schnell wie möglich an Ort und Stelle zu sein. Ich bewaffnete mich mit einem Schneeschieber und tat so, als schiebe ich den Schnee beiseite. Die ganze Zeit achtete ich auf die Küchenfenster, aus denen die Ladung herausgeworfen werden sollte. Ich berechnete schon, wieviel Zeit ich brauchen würde, um den Sack von hier aus zu dem Versteck zu bringen, in dem ich die ergatterte Verpflegung sicherstellen sollte.
Hinter der Ecke des Küchengebäudes tauchte aus dem Nebel heraus Max auf. Er fragte, ob alles in Ordnung sei, und als ich ihm sagte, daß Zbyszek noch nichts herausgeworfen habe, wies er mich an, weiter zu warten. Er verschwand im milchigen Nebel, der bei dem bergigen Klima von Flossenbürg morgens meist ziemlich dicht war. Es war frostkalt, und ich verspürte ein Kneifen in den Ohren. Nach einiger Zeit wurden mir die Füße kalt, und ich begann von einem Bein auf das andere zu treten, um mich aufzuwärmen. Immer wieder blickte ich hinauf, ob aus den Fenstern nichts herausgeworfen würde. Ich wußte, daß das vom fünften oder sechsten Fenster aus geschehen sollte. Es war schon ziemlich viel Zeit verstrichen, und nichts regte sich. Von den Blocks her vernahm ich das Stimmengewirr der sich zum Appell einfindenden Häftlinge.
Ich wurde langsam ungeduldig. Ich durfte nicht zu spät zum Appell kommen. Falls Zbyszek das Schiebergut nicht innerhalb der nächsten Minuten herauswarf, mußte ich aufhören zu warten. Ich war durchgefroren bis auf die Knochen. Ich wartete schon fast eine Stunde. Ich wandte mich noch einmal um und musterte aufmerksam die Küchenfenster – aber alles blieb still. Nichts deutete darauf hin, daß sich eines der Fenster kurz öffnen würde. Der Nebel löste sich nicht auf. Irgend etwas mußte Zbyszek gehindert haben, wenn er nichts herauswarf – sagte ich mir. Unterdessen nahm das Stimmengewirr vor den Blocks von Minute zu Minute zu. Es gab keinen Zweifel, der Appell mußte jeden Augenblick anfangen, und ich hielt immer noch hier Wache. Ich wollte Zbyszek nicht enttäuschen, ich durfte ihn nicht im Stich lassen. Ich blickte mich um und marschierte noch einmal hin und zurück unter den Fenstern vorbei – doch leider kündigte nichts einen Wurf aus der Küche an. Ich beschloß, zu meinem Block zurückzukehren. Hatte Zbyszek nicht ans Fenster kommen können? Hatte ihn etwas anderes gehindert? Es half nichts, ich konnte nicht länger warten.
Ich lief auf den Durchgang zu, in dem Max verschwunden war. Zum Glück entdeckte ich ihn in dem Nebel. »Na, was ist?« fragte er. »Gleich fängt der Appell an. Ist der Rapportführer schon ins Lager gekommen?« – »Na eben, und da rührt sich nichts«, klärte ich ihn auf. »Ich muß zum Block, sonst ist der Teufel los«, fügte ich hinzu. Max entgegnete rasch: »Also gut. Geh zum Appell! Ich werde die Zeit über aufpassen, bis du nach dem Appell zurück bist.«
Ich lief bergan zum Block 10 , was die Beine hergaben. Der Blockälteste hatte gerade angefangen, die Häftlinge zu zählen. Ich lief zum Ende des Gliedes und stellte mich in der Kolonne auf. Der Blockälteste überprüfte – wie jeden Tag – die Zahl der »Abmarschbereiten« zur Arbeit, der im Block Beschäftigten und der sogenannten Abkommandierten. Zu letzteren gehörten eben Lagerschutzmann Max, der an diesem Tag Dienst hatte, sowie Zbyszek und andere, die seit drei oder vier Uhr morgens in kleinen Gruppen beschäftigt waren. Damals war es üblich, daß der Blockälteste nach dem Morgenappell zum unteren Block ging (die Blocks von Flossenbürg waren terrassenförmig an einem kleinen Hang angeordnet) und dort dem Rapportführer die Stärkemeldung übermittelte. Nur die Abendappelle fanden im Beisein der als
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