Aus der Hölle zurück
grundlos, gleichgültig, ob du krank oder gesund bist. Völlig grundlos. Es scheint so, als ob das Gefängnis ein Sanatorium war im Vergleich mit dem Lager. Aber mach dir nichts draus. Versuch, nicht aufzufallen! Laß uns schlafen! Wer weiß, was uns morgen erwartet«, belehrte er mich mitfühlend.
Vom Flur her hörten wir, wie jemand geschlagen wurde. Der Stubenälteste war bemüht, den Kranken schneller fertigzumachen. Wir vernahmen irgendein dumpfes Aufstöhnen und dann das Niederfallen eines Körpers. Ein kurzer, durchdringender Schrei, jäh unterbrochen – und tiefe Stille. Und dann plötzlich der kurze, weithin hallende Befehl »Licht aus!« Es wurde dunkel. Mich ergriffen Angst und Schrecken anderer Art als im Gefängnis. Mich entsetzte meine Einsamkeit inmitten so vieler fremder Menschen, die älter waren als ich. Ich schmiegte mich an die unter dem Kopf zusammengelegte Kluft. Sie stank nach Desinfektionsmitteln. Es fiel schwer einzuschlafen, aber die Eindrücke des ersten Tages im Lager waren mehr als genug. Bald verfiel ich in einen traumlosen Schlaf.
Geweckt wurde ich vom Gebrüll des Stubenältesten. »Aufstehen, aber schnell! Aufstehen, ihr faulen Esel!« schrie er, schwang den Gummiknüppel und zog einigen eins über. Im Raum brannte das Licht. Die Häftlinge sprangen auf und zogen hastig ihre Kluft über. Die Decken mußten genau zusammengelegt und beim Gehilfen des Stubenältesten abgegeben werden. Die Holzpantinen, die sogenannten Holländer, durfte man erst nach dem Verlassen des Raumes anziehen. Auch die Mütze durfte man nicht im Block aufsetzen. Wer sie früher aufsetzte, lief Gefahr, von den Funktionshäftlingen des Blocks geschlagen zu werden. Zu den Funktionshäftlingen gehörten die Stubenältesten, deren Gehilfen, der Blockschreiber, der stellvertretende Blockälteste und der Blockälteste selbst.
Nach dem Verlassen der »Stube« mußte man sich rasch in den Waschraum begeben, sich dort das Gesicht bespritzen, die Hände waschen und sich dann in einer Reihe an der Wand aufstellen. Am Ende des Flurs teilten die Stubenältesten aus eisernen Kesseln eine heiße, graue Flüssigkeit aus, die sie in die von den Häftlingen hingestellten Kochgeschirre gossen. Jeder herantretende Häftling bekam vom Gehilfen des Stubenältesten ein Kochgeschirr, stellte es vor dem Verteilenden hin und weh ihm, wenn er es falsch oder schief hingestellt hatte. Dann schlug der Stubenälteste dem Unglücklichen ins Gesicht, riß ihm das Kochgeschirr aus der Hand und gab es dem nächsten, während der Pechvogel nur einen Tritt in den Hintern bekam. Als einer der Neuzugänge anfing zu nörgeln, daß ihm schließlich dasselbe zustehe wie den andern, schleppten ihn die anderen Stubenältesten in den Waschraum. Sie trieben ihm die Flausen aus dem Kopf, daß ihm irgend etwas zustehen könnte. Blutbesudelt und mit blau angelaufenen Augen trat er später mit uns zum Appell an. Man hatte ihn windelweich geschlagen.
Nachdem wir die Kelle »Avo« ausgetrunken hatten – so nannte sich die Pseudosuppe –, wurden wir zum Appell vor den Block gejagt, wobei wir wieder etwas von den Knüppeln abbekamen. Wir waren hungrig, aber dafür interessierte sich niemand. Wir mußten uns in Zehnerreihen aufstellen. Dann begann der Blockschreiber mit Hilfe der Stubenältesten uns beizubringen, wie wir uns beim Zählappell des Blocks zu verhalten hatten.
»Stillgestanden! Mützen ab!« »Mützen auf! Rührt euch!« fielen die Kommandos.
Es dauerte, bis zweihundert oder vierhundert Häftlinge gleichzeitig die Mützen abnahmen oder sie wieder aufsetzten. Viele Neuzugänge verstanden kein Wort Deutsch, viele waren nie bei der Armee gewesen. Jedwedes Exerzieren war ihnen fremd. Also begann das Prügeln. Jeder, der die Mütze zu spät abnahm oder sie zu spät wieder aufsetzte, wurde gnadenlos mit Stöcken, Gummiknüppeln und gewöhnlichen Knüppeln bedacht, mit denen die Funktionshäftlinge des Blocks ausgestattet waren. Die Befehle »Mützen ab!« und »Mützen auf!« wurden endlos wiederholt, aber unsere Gruppe der neu im Lager Eingetroffenen führte ihn kein einziges Mal richtig aus. Am Ende verkündete der Blockälteste: »Mit euch werde ich mich nach dem Appell unterhalten! Diese verfurzte Intelligenz! Verfluchte Scheiße!« Verächtlich spuckte er vor uns aus.
Unterdessen näherte sich ein junger Mann in SS -Uniform, und der Blockälteste brüllte dienstbeflissen: »Achtung! Die Augen rechts! Mützen ab!« Er meldete den
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