Aus der Hölle zurück
schreien sie überall so laut? Warum geschieht hier alles in solchem Tempo, in einer Atmosphäre des Entsetzens, des Schreckens und der Entwürdigung? Warum wird man auf den Kopf geschlagen, nur weil man nicht weiß, was man machen soll und wie man sich verhalten soll? Warum wird einem nichts erklärt? Warum prügeln sie nur, und das noch unter dem Vorwand, daß man einen Befehl nicht ausgeführt habe? Ich konnte das nicht begreifen. Aber ich mußte mich darauf einstellen. Andernfalls konnte ich – verprügelt und mißhandelt – rasch unter jenen landen, die sie zur Treppe schleiften. Sollte darin etwa der Aufenthalt im Konzentrationslager bestehen? In mir saß zu viel Schrecken. Ich konnte an nichts anderes denken, als nur daran, nicht wieder etwas auf den Kopf zu bekommen, nicht wieder geschlagen zu werden.
Oberleutnant Kwiatkowski – er war älter als ich – trat in der Gruppe an mich heran und flüsterte mir zu: »Halt die Ohren steif, Tadek! So, wie bisher! Du kommst gar nicht schlecht zurecht.« Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu. Ich hatte Angst, irgend etwas zu sagen, denn ich wußte nicht, weshalb und von woher ich wieder etwas abbekommen konnte.
Appell, Exerzieren, Marschieren, der Fotograf – all das dauerte mehrere Stunden. Es war kalt. Wir standen eine ganze Weile herum, bevor die ganze Gruppe der Neuzugänge fotografiert worden war. Dann schickte man uns auf den sogenannten Appellplatz vor der Küche. Erneut tauchte der Blockälteste mit seinem Schreiber und den Gehilfen auf. Irgend etwas stand bevor. Wir mußten uns rasch in Zehnerreihen ausrichten, und der Blockälteste befahl: »Achtung! Mützen ab!« Es klappte gar nicht schlecht. Jetzt bemühten sich alle, nicht aufzufallen, um nicht geprügelt zu werden.
Wir standen kerzengrade wie Schaufensterpuppen. Unterdessen tauchte eine kleine Gruppe von SS -Offizieren auf, begleitet von mehreren schwarz gekleideten Häftlingen, den Lagerältesten. Sie trugen schwarze Armbinden mit den weißen Buchstaben LA , auf anderen stand »Arbeitsdienst« oder »Capo«. Einer von ihnen trat vor und rief nach dem Dolmetscher.
Es erschien ein ziemlich hoch gewachsener Häftling mit schwarzer Armbinde. Ein SS -Offizier redete eine Weile mit ihm. Als er geendet hatte, übermittelte uns der Dolmetscher mit lauter, weithin hallender Stimme den Inhalt der Anweisung des Offiziers. Diese lautete ungefähr folgendermaßen: »Der Lagerführer teilt euch mit, daß ihr euch in einem deutschen Konzentrationslager befindet, wo Disziplin, Gehorsam und Ordnung herrschen. Alle Häftlinge müssen arbeiten. Wer nicht für das Wohl des deutschen Volkes arbeitet, muß sterben; je schneller, desto besser. Für Schmarotzer gibt es im Lager keinen Platz. Anweisungen und das, was zu euren Pflichten gehört, bestimmen die SS -Soldaten oder Funktionshäftlinge des Lagers, denen ihr euch bedingungslos unterzuordnen habt. Jede Verletzung eines Befehls oder einer Lagervorschrift wird streng bestraft: mit Prügelstrafe oder mit Einweisung zur Arbeit in Abteilungen der Strafkompanie, was der Todesstrafe gleichkommt. Die Inschrift auf dem Dach der Küche ist für die Häftlinge Richtschnur und Mahnung zur absoluten Einhaltung. Alle Juden, die sich in der neueingetroffenen Gruppe befinden, können zwei Wochen im Lager leben, Priester einen Monat lang, der Rest drei Monate. Dann gibt es für alle nur einen Ausweg – durch den Schornstein. Wem das, was ich gesagt habe, nicht gefällt, der möge vortreten oder selbst gleich in den Draht gehen! Das ist auch ein Ausweg.« Mit diesen Worten beendete Lagerführer Fritsch seine Begrüßungsansprache.
Der Blockälteste befahl, die Mützen aufzusetzen, doch wir warteten, bis die SS -Offiziere gegangen waren. Dann trieb man uns zur Effektenkammer, um die dünnen Häftlingsmäntel in Empfang zu nehmen. Wir erfuhren, daß wir arbeiten würden. Die Rückkehr zum Block erfolgte im Laufschritt. Wir bekamen erneut Nadel und Faden, um die Nummern auf die Mäntel zu nähen. Gegen Mittag wurden wir aus dem Block gejagt. Funktionshäftlinge brachten eiserne Kessel aus der Küche, trugen sie in den Flur und verteilten an die nacheinander den Block betretenden Häftlinge das erste »Mittagessen« im Lager. Ich bekam vom Ordnungsdienst eine Schüssel und stellte sie dem Stubenältesten so hin, daß auch nicht ein Tropfen verlorenging. Ich bekam auch einen Löffel, aber wozu eigentlich? Das Mittagessen bestand aus einer dünnen Wassersuppe, in der einige
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