Aus der Hölle zurück
übersät. Fünf hatten zerschmetterte Schädel. Als wir alle ausgezogen hatten, sagte der Älteste leise: »Na, Jungs, Mützen ab!« Wir nahmen die Mützen ab und standen eine Weile stramm. Dann begannen wir, die Leichen ordentlich hinzulegen. Es waren vierundzwanzig.
»Sechs ganze Brote und zwei Würfel Margarine hat der Blockälteste verdient«, meinte der Älteste. »Jetzt läßt er sie hier so ungefähr zwei Tage liegen, um in der Küche das Essen für sie zu bekommen. So ein Schwein!« Wir blickten einander an. Auf diese Weise also besserte der Blockälteste seine Lebensmittelzuteilungen auf.
Der Gestank der Fäkalien und des Chlors war unerträglich. Mir wurde schlecht. Aber schon tauchte Mitas im Waschraum auf. »Na, seid ihr fertig, ihr Hurensöhne? Dann haut ab, aber dalli! Aha«, erinnerte er sich, »der Blockälteste hat erlaubt, daß ihr die Kessel und Fässer auslecken dürft. Sie stehen vor seiner Stube. Nachher wascht ihr sie ab, wie sich’s gehört! Alles klar?«
Wir rannten zu den Fässern. Der Hunger war stärker als alles andere. Mit Löffeln kratzten wir die kalte Flüssigkeit heraus, die an den Gefäßwänden erstarrt war. Im Mund und in der Nase spürte ich noch immer den Chlordunst und jenen eigentümlichen Leichengeruch. Trotz Husten, Fieber und Erkältung hatte ich die Entlausungsaktion überstanden. Wahrscheinlich, weil ich einer der jüngsten und einer der abgehärteten Häftlinge war. In den nächsten Tagen meldeten sich viele Mithäftlinge aus unserem Block im Lagerkrankenbau. Und in den Block 10 wurden frisch im Lager eingetroffene Neuzugänge eingewiesen.
Die nächsten Arbeitstage in der Soła-Grube nahmen mich schwer mit. Der Durchfall ließ allmählich nach, und vielleicht überlebte ich eben deswegen die Entlausungsaktion. Aber ich war völlig entkräftet. Prügel, Appelle und Entlausung brachten die Qual des Lageralltags zum Überlaufen. Meine Transportgefährten hatte ich aus den Augen verloren. Sie arbeiteten in anderen Kommandos. Ich befand mich unter fremden, aber ebenso mitgenommenen und mißhandelten Häftlingen mit kurzer Lagererfahrung, an denen SS -Leute und Funktionshäftlinge ihre Lust ausließen. Das schlimmste war, daß ich ständig hungrig herumlief. In meinem Bauch rumorte es. Der Körper brauchte mehr Nahrung. Leider war die nirgends zu bekommen.
Eines Tages wurde unser Arbeitskommando aus mir unbekannten Gründen länger im Lager festgehalten. Wir standen unweit des Lagertors. Das Orchester packte seine Instrumente ein. Damals wurde ich auf das durch einen Extrazaun abgegrenzte Lager für sowjetische Kriegsgefangene aufmerksam. »Russisches Kriegsgefangenenlager« lautete die Inschrift über dem Einfahrtstor, das sich zwischen den Blocks 24 und 14 befand. Vor einem der Blocks stand gerade ein Rollwagen, der mit Leichen beladen wurde. Zum Skelett abgemagerte Menschenleichen wurden auf den Wagen geworfen. Andere Kriegsgefangene schleiften die Leichen aus den Blocks. Unter den auf den Rollwagen geworfenen Körpern bemerkte ich noch lebende, sich noch bewegende Menschen. Später, nach dem Aufladen, schoben zehn sich schleppend bewegende Gefangene den Rollwagen zum nahegelegenen Krematoriumsgebäude hin fort.
Innerhalb des Lagers war der Ausbau im Gange. Man errichtete neue Blocks und schüttete die riesige Vertiefung zu, die sich dort befand, wo man später die Blocks 16 und 17 erbaute. Mit einer Walze wurde das Gebäude eingeebnet. Die Arbeit der Häftlinge, die unter der Aufsicht von SS -Leuten und Kapos Mauersteine schleppten und aufschichteten oder Mörtel anrührten, ging in ständiger Hast vor sich, unablässig angetrieben durch Gebrüll und Prügel. Es war überall dasselbe. Wir waren zum Tode verurteilt, so, wie es der Lagerführer gleich zu Anfang gesagt hatte. Wie lange würde ich das aushalten?
Schließlich kam das Zeichen zum Ausmarsch, und so wie jeden Tag durchmaßen wir mit entblößten Köpfen, in strammer Haltung und mit den Schuhen aufstampfend, das Lagertor, an dem die SS -Leute die Herauskommenden übernahmen. Unser Kommandoführer hatte Schwierigkeiten beim Zusammenstellen der Wachmannschaft gehabt. Deshalb hatte sich der Abmarsch unseres Außenkommandos verzögert. Auf der Arbeitsstelle schaufelten wir wieder Kies aus dem Fluß. Die Erde war gefroren und von Schnee bedeckt. Obwohl wir so manches Mal mit den Schuhen in den Fluß mußten, um Kies auf die Schubkarren zu laden, gab es bei uns Unterbrechungen, weil andere die Karren
Weitere Kostenlose Bücher