Aus der Hölle zurück
Anweisungen des Auschwitz-Kameraden. Ich wußte, daß er mich retten wollte. Wahrscheinlich war der besoffene Schmitz in seine SS -Kantine gegangen, und Tadeusz nutzte das aus.
Ich lag über drei Stunden in der Wanne, als ich hinter der Tür Schritte hörte. Ich vernahm mehrere Sätze auf Deutsch. Vor Angst schlug mir das Herz bis zum Halse. Aber nach einer Weile wurde es wieder ruhig. Etwas später hörte ich ein leises Pochen an der Tür, der Schlüssel drehte sich im Schloß, und Tadeusz erschien. »Na und? Fühlst du dich besser?«, fragte er. »O ja, ganz bestimmt!« gab ich zurück.
Tadeusz betrachtete eingehend meinen Rücken und meine Hand. Er half mir, mich abzutrocknen und die Lagerwäsche überzustreifen. Er scheuerte die Wanne und führte mich ins Behandlungszimmer. Es war Nacht, und ganz allein begann er, mit einer Pinzette die kleinen Sandkörner aus den Wunden auf meinem Rücken herauszupulen. Sie waren unter die Hautreste gerieben worden, als man meinen Körper über die Erde geschleift hatte. Sie verursachten Entzündungen und Infektionen. Es tat sehr weh, und ich stöhnte. Aber ich mußte die Zähne zusammenbeißen, ich mußte es aushalten. Es war sehr viel von diesem höllischen Zeug, denn am Ende war er erschöpft und meinte: »Für heute reicht’s! Ein andermal versuchen wir’s noch mal. Jetzt geh erstmal schlafen!« Er bestreute mich mit irgendeinem Pulver, verband mich und brachte mich in den Krankensaal.
Abb. 11
KZ Flossenbürg. Blick auf das Lager.
Drei Tage später trat ich gemeinsam mit allen Kranken zur Visite an, die Schmitz und sein Assistent vornahmen. Das Schlimmste war das Abnehmen und Abreißen der Verbände. Der SS -Arzt warf kaum einen Blick auf meinen Rücken und die Hand und befahl mir abzutreten. Tadeusz, der in der Nähe stand, lächelte nur. Offensichtlich wird es besser, dachte ich mir. Dann aber kehrten die Zweifel wieder. Sollte mein Zustand vielleicht so hoffnungslos sein, daß es sinnlos war, etwas zu unternehmen? Vielleicht waren die Verbrennungen auf dem Rücken einfach nicht zu heilen, und Tadeusz versuchte nur, mir nicht die Hoffnung zu nehmen.
Erst abends, als er mich in den Verbandsraum rief, gab mir sein heiteres Gesicht etwas Optimismus zurück. Er begann erneut, mit der Pinzette die Fremdkörper aus den Wunden auf meinem Rücken zu entfernen, als plötzlich sein Kollege Janusz, der als Oberpfleger fungierte, den Raum betrat. Er betrachtete eine Weile meine Verletzungen und urteilte dann: »Ich kann dich beim besten Willen nicht verstehen. Das ist doch Wundbrand. Ihm hilfst du sowieso nicht weiter. Schade um die Zeit. Im Lager ist noch nie jemand vom Brand geheilt worden.« Tadeusz blickte erst mich, dann Janusz an und meinte: »Ich weiß nicht, ob das Wundbrand ist oder nicht. Übersteht er es, gut! Wenn nicht, dann nicht. Aber dem Burschen muß geholfen werden. Ich muß das Teufelszeug da rausklauben.« Janusz nickte mit einem zweifelhaften Lächeln, winkte mit der Hand ab und ging. Nach dem, was ich gehört hatte, wurde ich von Angst gepackt. So viele Schmerzen, so viele Leiden – und alles umsonst? Nein, das darf nicht sein! schrie etwas in mir. Ich muß Tadeusz helfen! Soll er darin rumkratzen. Soll er mir den halben Rücken herunterreißen, wenn ich es nur überstehe!
Am nächsten Tag brachte mich Tadeusz am späten Abend wieder zu der Wanne und ließ mich einige Stunden darin baden. Wiederum machte er sich an das »Herauspulen« auf dem Rücken, und dann lag ich lange Tage im Krankensaal. Das Fieber, das sich fast die ganze Zeit hindurch zwischen 37 , 5 °C und 38 °C hielt, ging auf weniger als 37 °C zurück. Die Krise schien überstanden zu sein. Tadeusz brachte mir zusätzliche Suppe. Nach zwei, drei Wochen war die Wundbrandgefahr gebannt. Man nahm mir den Kopfverband ab, und die Delle im Schädel wurde mit einem haltbaren Pflaster versehen. Ich war nicht das einzige Mülsen-Opfer, dem Tadeusz Kośmider und Janusz Janicki halfen. Einige, mit leichteren Verbrennungen, konnten den Krankenbau verlassen.
Unter den Patienten mit Verbrennungen lag im selben Saal ein Junge aus Lublin. Er war noch jünger als ich, nämlich 15 Jahre alt. Hände, Füße und Kopf waren bei ihm in Ordnung, aber sein ganzer Unterleib war vorne verbrannt. Die Hautreste hielten knapp die inneren Organe. Offensichtlich hatte er Rauch geschluckt, war ohnmächtig geworden, und die glühenden Flammen hatten eben seinen Unterleib angegriffen. Aber nach fast zwei
Weitere Kostenlose Bücher