Aus der Hölle zurück
die Mütze vor dem näherkommenden SS -Mann ab und wandte sich dem Krankenbau zu. Eifrig begann ich mit dem Reisigbesen herumzufuchteln.
Nach ein paar Wochen Arbeit bei den Straßenreinigern wurde beim Morgenappell meine Nummer verlesen. Ich erfuhr, daß ich für einen Transport nach Leitmeritz (Litoměřice) oder Hersbruck vorgesehen war. Beide Vernichtungsstätten bedeuteten eine Bedrohung für mich. Ich beschloß, mich nach dem Abendappell an Tadeusz zu wenden, damit er mir helfe. Mein Betreuer bekräftigte meine Ansicht, daß der Abtransport in eines dieser Lager gefährlich sei. Wenn ich schon fort müsse, dann besser an einen Ort, wo wenigstens die Aussicht bestand, zu überleben. Aber wie sollte man das anstellen? Wohin auch immer die Häftlinge abfuhren, überall waren die Lebensbedingungen schlecht. Und hinzu kamen die Bombenangriffe, denn die Rüstungsbetriebe, in denen wir vorwiegend eingesetzt wurden, bildeten das Hauptziel der alliierten Luftangriffe.
Tadeusz überlegte lange und sagte dann, ich solle in zwei Tagen wiederkommen. Er werde unterdessen sehen, was sich mit Hilfe bekannter Deutscher in der Lagerkanzlei machen lasse.
Als ich in den Quarantäneblock zurückkam, herrschte dort ein unbeschreibliches Durcheinander. Vom Duschraum des Lagers her hatte man über 500 Häftlinge aus Majdanek in unseren Block eingewiesen, vorwiegend Polen, Russen und Juden. Sie hatten eine langwierige Hölle hinter sich. Sie waren zur Quarantäne in Birkenau gewesen und von dort nach Flossenbürg geschickt worden. Es war klar, daß diejenigen, die bisher alleine geschlafen hatten, weil sie zur Arbeit eingesetzt waren, ihre Pritsche unter den neuen Gegebenheiten mit ein oder gar zwei Leidensgefährten würden teilen müssen. Der Block war restlos überfüllt. Vor der Latrine stand eine lange Schlange. Die Nächte waren entsetzlich.
Auf meine Pritsche wurde ein Landwirt in mittleren Jahren aus der Umgebung von Zamość eingewiesen. Er erzählte mir von den faschistischen Aktionen des Raums Zamość, vom Wirken polnischer und russischer Partisanen, vom Ausbruch des Warschauer Aufstands und von den verbissenen Kämpfen rings um die Hauptstadt Polens. Erst von ihm erfuhr ich vom vollen Ausmaß der Ausrottung der Juden, die man mit ihren ganzen Familien in die verschiedensten Lager gebracht hatte, wo sie den Tod fanden. Ich hatte geglaubt, daß das, was ich in Auschwitz und anderen Lagern gesehen hatte, entsetzlich und furchtbar sei. Aber das, was ich von meinem Pritschennachbarn erfuhr, übertraf alle Vorstellungen, die ich mir von den Naziverbrechen gemacht hatte. Ich konnte nicht einschlafen. So vieles geschah, so viele Menschen kamen um. Und ich fragte mich, wo denn das Leben sei, wenn es überall soviel Tod gab. Geplagt von der qualvollen Vorstellung der brennenden Leiber der Erschossenen und von der Ungewißheit des eigenen Schicksals, schlief ich am Ende ein – inmitten des Stöhnens und der Geräusche in der überfüllten Baracke.
Am nächsten Tag wachte ich mit rechtsseitigen Bauchschmerzen auf. Als ich den »Lagerkaffee« getrunken hatte, wurde mir etwas besser, aber ich spürte weiterhin irgendwelche Beschwerden, die ich nicht näher bestimmen konnte. Im Laufe des Tages, bei der Arbeit, machte sich der Schmerz wieder bemerkbar. Am Abend ging ich zum Krankenrevier. Tadeusz wartete schon auf mich und eröffnete mir sogleich: »Es steht schlecht. Die Häftlingsnummern auf der Transportliste befinden sich seit einer Woche in den Händen des Arbeitseinsatzführers. Es scheint, du mußt los.« Ich berichtete Tadeusz von meinen Bauchschmerzen. Er überlegte kurz und schlug vor: »Komm, leg dich auf den Tisch. Ich untersuch dich, verdammt noch mal!« Ich legte mich hin, wie er befahl.
Er begann leicht meinen Unterleib abzutasten. Als er zweimal Schmerzen auf der rechten Seite feststellte, meinte er: »Es sieht nach einer Blinddarmreizung aus. Das ist nicht gefährlich, aber in deiner Lage wäre das vielleicht ein Ausweg! Ich rede mit Schmitz, er soll dich auch untersuchen. Was meinst du dazu?« Allmählich begriff ich. Noch eine weitere Operation mehr – verflucht noch mal! »Aber Tadek, wird das nicht sehr wehtun?« fragte ich ängstlich. Tadeusz lachte nur: »Mann, das macht man doch nicht bei vollem Bewußtsein! Nicht so, wie ich dir den Rücken saubergemacht habe. Wir geben dir eine Narkose, du wirst nichts spüren. Du liegst ein paar Tage, der Transport geht ab, und dann sehen wir weiter. Na, was ist?«
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