Aus der Hölle zurück
ums Leben gekommen. Warum? Warum mußte das so sein?
Von mehreren Warschauern, die in den Krankenbau eingeliefert wurden, hörte ich, daß der Waffenmangel und die zu geringe Unterstützung durch die Alliierten die Aufstandschancen zunichte gemacht hätten. Erfreulich war, daß sowohl die Russen als auch die Amerikaner an den Fronten Siege errangen. Doch weiterhin war ungewiß, wann sie uns in den Lagern die Freiheit bringen würden.
Unter den Warschauer Gefährten begegnete ich einem Ingenieur, der sich ausschließlich darum sorgte, was mit seiner Frau und seinem Sohn geschehen sei. Er lag auf der Nachbarpritsche und erklärte mir lang und breit, daß die Deutschen seine Familie wahrscheinlich abtransportiert hätten, er wisse nur nicht, wohin. Er selber habe einer Abteilung angehört, die er zum Zeitpunkt der Kapitulation der Aufständischen verlassen habe. Und als verdächtiger Zivilist sei er ins Lager eingewiesen worden. Er klagte über Bauchschmerzen. Bei der Visite hörte Schmitz ihn an und entschied: »Magenoperation!«
Vergeblich rieten Janicki und Kośmider ihm davon ab, sich der Operation zu unterziehen. Umsonst erklärten sie ihm, daß die Voraussetzungen für die Krankenpflege nach der Operation im Lager nicht gegeben seien. Er versteifte sich darauf, daß er vor dem Aufstand sowieso ins Krankenhaus hätte gehen und sich einer Operation hätte unterziehen sollen. Gegenwärtig hingegen quälten ihn die Schmerzen so sehr, daß er es nicht länger aushalten könne. Schmitz operierte ihn, und nach sieben Tagen war unser Ingenieur tot. Tadeusz, der dem SS -Arzt assistiert hatte, sagte mir später, daß die Operation nicht um jeden Preis notwendig gewesen sei. Dieser Tod berührte uns alle, denn wir hatten den Ingenieur sehr gern gehabt.
Es gelang, zwei andere Patienten zu überzeugen, sich nicht operieren zu lassen. Janusz veranlaßte ganz raffiniert, daß sie aus dem Krankenbau entlassen wurden. Es war besser, sich mit Geschwüren abzuquälen, als sich von Schmitz unters Messer nehmen zu lassen, erklärten die polnischen Pfleger den kranken Häftlingen, die sich mit Magenschmerzen im Revier meldeten.
Ich sah sehr viel Schmerzen und Leiden. Furchtbar zu leiden hatten diejenigen, die urologische Eingriffe hinter sich hatten und durch einen Katheter ihr Wasser lassen mußten. Oft brachte ich ihnen das Becken und hielt es fest. In ihren Augen erblickte ich Erleichterung, zugleich aber auch Dankbarkeit, daß ihnen jemand half und sie die Pritsche nicht beschmutzen mußten. Ich hielt die Betten und den ganzen Raum in Ordnung, in dem die Patienten unmittelbar nach der Operation untergebracht wurden. Ich war wieder Hilfspfleger im Revier, ähnlich wie 1942 in Auschwitz. Freuen konnte ich mich über eines – daß ich anderen, meinen Kameraden, helfen durfte und nicht für die Nazis arbeiten mußte. Ein paar Monate früher hatten andere mir ebenso geholfen. Ich zahlte jetzt also nur eine Dankesschuld ab.
Der Transport, mit dem ich hätte verlegt werden sollen, war längst abgegangen, und im November entließ man mich aus dem Krankenbau ins Lager. Ich wurde in den Block 17 , den Schonungsblock, eingewiesen. Blockschreiber war dort ein älterer Mann mit gutmütigem Gesicht. Er hieß Jurkowski, stammte aus Ostrów Wielkopolski und saß seit 1939 im Lager. Als er erfuhr, daß ich aus Poznań stammte und daß ich obendrein nur mit Mühe meine Verbrennungen aus Mülsen überlebt hatte, teilte er mich dem Saalpfleger, der für Ordnung und Sauberkeit in den Häftlingsräumen verantwortlich war, als Gehilfen zu. Die Baracke hatte zwei Flügel, und in jedem lagen zwei Räume. Der kleinere Raum war mit Tischen und Hockern ausgestattet. Dort nahmen die Schonungshäftlinge (sie wurden zu leichteren Arbeiten herangezogen) nach der Arbeit ihre Mahlzeiten ein. Im zweiten Raum waren dreistöckige Pritschen aufgestellt, auf denen die Häftlinge schliefen. Zu meinen Pflichten gehörte das Saubermachen der beiden Räume, das Herbeischaffen der Suppenkessel aus der Lagerküche und die Ausführung von Anweisungen des Schreibers, der mir das Ausklopfen der Decken, das Reinigen der sanitären Anlagen und dergleichen übertrug.
In einem kleinen Schränkchen des Saalpflegers bewahrte ich die Bürsten und Lappen auf, die ich zum Aufwischen des Fußbodens im Block gebrauchte. Block 17 war ein Rekonvaleszentenblock, doch ähnlich wie das Revier war er stark überbelegt. Die Häftlinge lagen zu zweit und zeitweise sogar zu dritt auf den
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