Aus der Hölle zurück
der Pfleger Blaszka, dessen Anwesenheit im Revier überaus gefährlich war. Er galt als Spitzel, und alle hüteten sich vor ihm wie vor der Pest. Man brauchte sich also nicht zu wundern, daß einige Kranke zu dem Schluß gelangten, die Betreuung im Revier sei reine Fiktion und es gebe keine Rettung für sie.
Eines Tages, als eine weitere Gruppe aus dem Krankenbau eingeliefert worden war, entdeckte ich einen Häftling, der sich erhängt hatte. Es war ein Kranker, der am Abend zuvor unumwunden erklärt hatte, daß das Leben unter diesen Bedingungen keinen Sinn habe. Wenige Tage später folgte ein anderer Häftling seinem Beispiel. Er erhängte sich kurz vor dem Appell. Ich aber stellte mir die Frage, ob ich – wenn mir niemand geholfen hätte – ebenfalls zu einer solchen Verzweiflungstat fähig gewesen wäre.
Die Antwort war eindeutig – ich wollte leben, ich wollte überleben. Ich glaubte an die Aussicht, daß ich es überstehen würde.
Indessen waren meine Brandwunden fast ganz verheilt. Nur wenn ich meinen Kopf abtastete, spürte ich die tiefe Delle in der Schädeldecke. Die war mir nach dem Kolbenhieb des SS -Söldners geblieben. Manchmal überlegte ich, warum er auf mich eingeschlagen hatte. Ob er den Verwundeten von sich aus hatte töten wollen, oder ob man es ihm befohlen hatte.
Beim Ordnunghalten im Block war ich bemüht, anderen nützlich zu sein. Diese Arbeit gewährleistete zusätzliche Verpflegung, und das war keineswegs bedeutungslos, wenn man wieder zu Kräften kommen wollte. Obwohl ich mich im Prinzip gesund fühlte, hatte ich von Zeit zu Zeit Schwindelanfälle und Kopfschmerzen. Es war gut, daß ich dem Transport entgangen war.
Im Schonungsblock hatten – mit Wissen von Schmitz – sogenannte Prominente Zuflucht gefunden, Häftlinge deutscher Abstammung, die nur vorübergehend ins Lager eingewiesen worden waren. Unter vier solchen Halunken erkannte ich den Lagerspitzel Malorny aus Auschwitz, der im Dienst der Politischen Abteilung gestanden hatte. Ich nahm mich vor ihm in acht so gut es ging, obwohl er versuchte, mich als »Auschwitzer« für sich einzunehmen. Schließlich wurde er, zusammen mit Kapo Mathoy und anderen, als Reichsdeutscher aus dem Lager entlassen und der SS -Einsatzgruppe Dirlewanger zugeteilt.
Ende 1943 begannen Transporte mit ungarischen Juden und Frauentransporte in Flossenbürg einzutreffen. Das Lager war überfüllt. Es wurde gewissermaßen zu einem Durchgangslager für Häftlinge aus den Ostgebieten, die durch die näherrückende Front bedroht waren. Die Deutschen brauchten diese Häftlinge ausschließlich als Arbeitskräfte für Rüstungsbetriebe und kriegswichtige Unternehmen sowie zum Einsatz bei der Beseitigung von Bombenschäden nach Luftangriffen. Im Lager herrschte ein unablässiges Kommen und Gehen und ein immer größeres Chaos. Die Kommandantur erließ ständig neue Befehle zur Ankunft weiterer Häftlingsgruppen und ihrer Verlegung in andere Lager, Fabriken und Außenkommandos. Es gab immer mehr Neuzugänge, und nach und nach machte sich ein Mangel an Transportmitteln bemerkbar.
Die Quarantäneblocks waren überfüllt, Typhus griff um sich. Es gab immer mehr Leichen, und das Krematorium war nicht mehr imstande, sie alle zu verbrennen. Man begann die Leichen in Gruben unweit vom Krematorium zu verbrennen. Schmitz versorgte die Kranken, die sich mit Fieber, hauptsächlich mit Typhus, im Revier meldeten, auf seine Weise. Er verordnete von Zeit zu Zeit Phenolspritzen ins Herz oder ein »Gesundbaden« im Duschraum. Man durfte nicht krank werden. Für die Deutschen zählte nur ein Gesunder. Schwache und Kranke wurden ausgemerzt.
Ende des Jahres eröffnete mir Jurkowski, daß die Blocks 16 und 17 mit Frauen belegt würden. Extra eingeteilte Arbeitsgruppen begannen, Stacheldrahtzäune zu errichten. Für mich bedeutete das eine weitere Veränderung. Ich wurde in den Block 10 verlegt, der ein gewöhnlicher Block für arbeitende Häftlinge war. Dort war eine Gruppe von Polen untergebracht, unter denen ich mehrere gute Kameraden kennenlernte. E. Podgórzec, G. Koloch, Z. Rypalski und S. Florkowski interessierten sich für die Hölle, die ich in Mülsen durchgemacht hatte. Ich berichtete ihnen von meinen Erlebnissen in Mülsen und Auschwitz. Koloch und Rypalski waren ebenfalls in Auschwitz gewesen. Wir freundeten uns ziemlich schnell an. Florkowski, der zuvor Schreiber im Block 20 gewesen war, setzte sich beim Blockältesten Kurt dafür ein, daß dieser mich zur
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