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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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einmal – und spül sie mit noch mehr Wodka runter. Wenn du sie alle intus hast, zieh dir die Plastiktüte über den Kopf. Dichte sie am Hals gut mit Klebeband ab – bis dahin dürfte der Tylenol-Wodka-Cocktail seine Wirkung getan haben, und du driftest ab ins …
    Ich holte mir den Zahnputzbecher aus dem Bad und ging zurück zum Bett. Ich verteilte die Tabletten auf dem Nachttisch. Ich füllte den Becher zur Hälfte mit Wodka. Ich nahm einen großen Schluck. Der Alkohol brannte in meiner Kehle. Ich hob erneut den Becher und schüttete mir seinen Inhalt in den Rachen. Der Wodka stieg mir sofort zu Kopf. Ich griff nach einem Block neben dem Bett und nahm die Hälfte der Tabletten in die linke Hand. Doch als ich sie gerade zum Mund führen wollte, hörte ich eine Frauenstimme. Eine schrille, wütende Frauenstimme.
    »Du widerwärtiges Miststück … wenn du es noch einmal wagst …«
    Dann hörte ich eine laute Ohrfeige, gefolgt vom Aufschrei eines kleinen Mädchens.
    »Nein, Mama, nicht …«
    Noch eine Ohrfeige, noch ein Aufschrei. Dann: »Jetzt sieh mich bloß nicht so an, du kleines …«
    Plötzlich war ich aufgesprungen, ließ die Tabletten fallen und humpelte zur Tür. Als ich sie aufriss, sah ich, wie die schrille Frau – groß, übergewichtig, mit einem schwarzen Haarschopf – dem kleinen Mädchen ins Gesicht schlug. Es konnte höchstens fünf Jahre alt sein und war schon wie seine Mutter zu dick. Ohne nachzudenken, packte ich die Hand der Frau, als diese gerade wieder auf den Kopf der Tochter herabsausen wollte.
    »Lassen Sie das!«, hörte ich mich schreien.
    »Wer, zum Teufel, sind Sie?«, schrie die Frau zurück und versuchte, sich meinem Griff zu entwinden.
    »Lassen Sie das sofort sein.«
    Mit ihrer freien Hand boxte sie mich in den Bauch. Sie schlug so fest zu, dass ich umfiel und Wodka hochwürgte.
    »Sie haben Nerven, gute Frau«, sagte sie und zog das kleine Mädchen mit sich fort. Ich versuchte aufzustehen, doch ohne Erfolg.
    »Man schlägt keine Kinder.«
    Die Frau machte kehrt.
    »Sie wollen mir vorschreiben, wie ich meine Tochter zu behandeln habe?«, schrie sie. »Sie wollen mir Erziehungsnachhilfe geben, Sie arrogante Kuh?«
    Mit diesen Worten trat sie voll gegen meinen Brustkorb. Ich fiel zu Boden, und mir wurde erneut schlecht. Ich hörte, wie ein Motor angelassen wurde. Über den Lärm hinweg schrie eine Stimme: »Da siehst du, was du angerichtet hast, du kleines Miststück!«
    Das Mädchen flehte seine Mutter an, ihm zu vergeben. Anschließend hörte ich quietschende Reifen, und danach war Stille.
    Der ganze Vorfall hatte höchstens eine Minute gedauert, und es gab keine Zeugen. Ich spuckte den giftigen Speichel aus, der meinen Mund füllte. Ich rappelte mich auf und humpelte zurück in mein Zimmer. Als ich hineinging, trat ich aus Versehen auf die Tabletten, die ich über den Boden verstreut hatte. Plötzlich weinte ich, fegte die restlichen Tabletten vom Nachttisch und zermalmte sie mit den Absätzen meiner Schuhe. Dann griff ich nach der Wodkaflasche, rannte ins Bad und zertrümmerte sie in der Badewanne. Schließlich ließ ich mich wild schluchzend aufs Bett fallen und fühlte mich unendlich verloren.
    Als das Schluchzen irgendwann nachließ, erhob ich mich vom Bett, ging ins Bad und sammelte jede einzelne Glasscherbe aus der Wanne. Im Schrank fand ich Schaufel und Besen, kehrte die zu Pulver zertretenen Tabletten auf und dachte: Auch wenn man dich angegriffen hat und du einen weiteren Selbstmordversuch vermasselt hast, musst du aufräumen. Denn du bist ein böses Mädchen. Und böse Mädchen, die gute Mädchen sein wollen, versuchen stets, das Chaos, das sie angerichtet haben, zu beseitigen. Obwohl sie ganz genau wissen, dass ihnen das auch nicht weiterhilft. Weil …
    Wie konnte diese Frau das einem Kind nur antun? Ihrem Kind .
    Wieder schnürte sich mir die Kehle zu. Aber ich unterdrückte das Schluchzen. Schluss damit. Schwester Rainier hatte recht: Es brachte nichts, im Angesicht der Hölle zu weinen. Und noch ein gescheiterter Selbstmordversuch war einfach nur … lächerlich.
    Ich stand auf. Ging ins Bad. Mein Brustkorb schmerzte, und ich hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund. Bevor ich mir Wasser ins Gesicht spritzte, starrte ich in meine roten Augen, auf die kleine noch verbliebene Schürfwunde auf meiner Stirn, die Lippen, bei denen man die Fäden gezogen hatte, die aber immer noch Narben aufwiesen. Als ich mich angewidert abwandte, nahm eine Frage in meinem verwirrten

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