Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
Vom Netzwerk:
bleiben noch drei bis vier Monate Zeit, bis wir Ihre Stelle neu besetzen müssen, falls Sie Ihre Meinung doch nicht ändern sollten. Aber ich hoffe aufrichtig, dass Sie im Wintersemester zu uns zurückkehren.
    Wenn Sie bis dahin das Bedürfnis haben, diesen Vorschlag zu diskutieren – oder einfach nur mit jemandem reden wollen –, können Sie mich jederzeit anrufen.
    Mit besten Grüßen
    Ohne darüber nachzudenken, klickte ich auf »Antworten« und schrieb:
    Lieber Professor Sanders,
    ich weiß Ihre freundlichen Worte und Ihre Unterstützung sehr zu schätzen. Aber meine Entscheidung ist endgültig. Ich werde im Wintersemester nicht an die New England State zurückkehren, da ich meine Stelle mit sofortiger Wirkung kündige. Sie müssen mich für das laufende Semester nicht bezahlen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Etwa eine Minute später kam schon Sanders’ Antwort. Ich löschte sie, bevor sie sich öffnete. Dann schickte ich eine Mail an Mr Alkan:
    Ich gehe davon aus, dass die Versicherungssumme an die bewusste gemeinnützige Organisation überwiesen wurde. Und auch, dass der Wohnungsinhalt weggegeben und die Wohnung zum Verkauf inseriert wurde. Es wird wahrscheinlich auch noch eine Versicherungssumme für den Totalschaden meines Wagens eingehen. Bitte spenden Sie auch diesen Betrag. Ich möchte das Geld nicht.
    Das wird meine letzte E-Mail an Sie sein. Ich verschwinde jetzt von der Bildfläche. Da Sie die Vollmacht über mein Vermögen haben, überlasse ich es Ihnen, sich Ihre Auslagen sowie Ihr Honorar davon abzuziehen.
    Ich danke Ihnen für Ihre vielen guten Ratschläge und die freundliche Unterstützung.
    In den nächsten Stunden kündigte ich auch alle Kranken-, Rentenversicherungen und Sparpläne. Dann verbrachte ich über zwei Stunden damit, sämtliche Dateien, E-Mails und Software-Programme von meinem Laptop zu löschen. Vorher löschte ich noch meinen Account bei AOL . Ich würde lange keine E-Mails mehr senden und empfangen.
    Als ich das alles erledigt hatte, war es Mitternacht. Ich nahm ein langes Bad. Ich schlüpfte unter die steifen, rauen Holiday-Inn-Laken. Ich nahm eine Mirtazapin ein, machte den Fernseher an und sah mir Mist an, bis die Tablette wirkte und ich ins Reich des Vergessens abdriftete.
    Ich schlief bis neun Uhr morgens durch und wurde mit einem merkwürdigen Gefühl von Gelöstheit wach. Der gefürchtete Moment kam trotzdem, als der Schlaf dem Wachsein wich und ich die Welt wieder wahrnahm. Aber heute wurde dieser »tägliche Tod im Morgengrauen« von dem grimmigen Entschluss begleitet, diesen Tag zu überstehen … und zwar in vollem Bewusstsein, dass mein früheres Leben vorbei war: Teil einer nun ausradierten Vergangenheit. Der Laptop war wie neu. Ich besaß keine Kreditkarten, keine Schulden, keinen materiellen Besitz mehr, nur eine bescheidene Summe auf der Bank, 2000 Dollar in bar, 1800 Dollar in Travellerschecks, keinen Job, keine Familie, keine Angehörigen, keine Verpflichtungen. Wäre ich philosophisch veranlagt gewesen, hätte ich meinen Zustand als pures Sein bezeichnen können – als Zustand vollkommener persönlicher Freiheit, ohne jede Verantwortung, außer der für mich selbst. Aber ich wusste es besser. Ich war dabei, die Festplatte meines Lebens zu löschen – ahnte jedoch, dass es mir unmöglich wäre, ihren emotionalen Gehalt zu entfernen.
    Trotzdem … bleib beschäftigt, bleib beschäftigt! Also rief ich an der Rezeption an und erkundigte mich nach der Nummer der Fernbusgesellschaft. Ich rief dort an und erfuhr, dass morgen um neun Uhr ein Bus aus Mountain Falls nach Kanada führe. Gegen eins würde er die kanadische Grenze überqueren und dann nonstop bis Calgary fahren, geschätzte Ankunft vier Uhr früh. Eine einfache Fahrt kostete 47 Dollar, Tickets wurden im Verkehrsbüro in der Stadtmitte verkauft.
    Warum Calgary? Weil das die nächste Stadt außerhalb der Vereinigten Staaten war. Und da ich gerade dabei war, die Vergangenheit hinter mir zu lassen, war es nur logisch, dass ich mich auch geografisch von meiner Heimat entfernen wollte. Hätte ich in Texas gelebt, wäre ich nach Mexiko gefahren. Da ich jedoch im nördlichen Montana gelandet war, gab es nur eine Möglichkeit, nämlich die, nach Norden zu fahren. Calgary war die erste Großstadt in nördlicher Richtung. Außerdem hatte ich den Vorteil, dank meines guten alten Dads einen kanadischen Pass zu besitzen. Calgary bot sich also als Reiseziel an. Wie es dort aussah, war mir egal. Es war woanders – und

Weitere Kostenlose Bücher